Simplicio: Antonio Garrigues, Franco und Escrivá

15.06.2016

 

Ich setze meinen Kommentar des Memorandums fort, das der spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Antonio Garrigues, an den spanischen Außenminister Fernando de Castiella über eine Unterhaltung richtete, die der Botschafter am Beginn des Jahres 1969 mit ESCRIVÁ führte.
Politik und Religion

ESCRIVÁ urteilte, dass sich die Priester nicht in die Politik und die Laien nicht in die Leitung der Kirche einmischen dürfen.

„Die Priester dürfen sich nicht in die Politik einmischen. Dafür sind die Laien, die Menschen in der Welt da, und die müssen sie in voller Freiheit wahrnehmen, ohne sich andererseits in die Angelegenheiten der Kirche einzumischen, das heißt, in die Bereiche, die den Bischöfen und Priestern vorbehalten sind“ (ich merke hier in Klammer an, dass es sich hier um kein wörtliche Zitat von ESCRIVÁ, sondern jenes des Botschafters handelt; gleichwohl trachtete dieser, dessen Worte und den Gedankengänge möglichst getreu wiederzugeben)...

1.- Die Priester dürfen sich nicht in die Politik einmischen

Dieser Satz „Die Priester dürfen sich nicht in die Politik einmischen“, den er zu spanischen Botschafter sagte, dürfte den spanischen Autoritäten sehr willkommen gewesen sein, die mit Argwohn beginnende Wortmeldungen einiger Kirchenmänner aufnahmen.

Man könnte es auch so auslegen, dass ESCRIVÁ hier pro domo sua  sprach. Wenn es sagt „Das [die Politik] es ist etwas für die Laien“, meinte er, „das ist etwas für meine Laien“. Man darf nicht vergessen, dass es damals in der spanischen Regierung folgende Minister gab: Espinosa San Martín (Finanzen), López Rodó (Entwicklung), López Bravo (Industrie) und García Moncó (Handel), und sie alle sind nach Aussage der Prälatur selbst Mitglieder (vielleicht gab es in einem Ministerium noch einen Mitarbeiter oder Freund, davon weiß ich allerdings nichts).

2.- Die Laien dürfen sich nicht in die Leitung der Kirche einmischen

Was die Leitung der Kirche betrifft, so beschwert sich ESCRIVÁ über die Intervention von Laien bei der Ernennung von Bischöfen: „Sie üben Druck auf die Nuntien aus, indem sie ihre Kandidaten vorschlagen, die ihre Freunde und Parteigenossen sind".

Mir kommt das wie ein Reflex seiner Enttäuschung darüber vor, dass er nicht Bischof werden konnte; vielleicht schob er insgeheim sein Scheitern auf die Intervention bestimmter Laien, die Einfluss auf die Regierung hatten und andere Kandidaten vorschlugen, die ihnen politisch genehmer waren. (auch wenn wir zur Genüge wissen, dass das Hindernis von den Autoritäten der Kirche ausgingen).

Und er folgt dieser Argumentationskette, wenn er sich gegen das Vorschlagsrecht bei Bischofsernennungen ausspricht: „Das Vorschlagsrecht muss verschwinden. Es mag seine historische Berechtigungen gehabt haben, heute hat es das nicht mehr".

Das ist höchst auffällig, denn alle Versuche ESCRIVÁ, zum Bischof ernannte zu werden, stützten sich ausschließlich auf dieses Privileg. Das wird besonders aus der historischen Studie von Marcus Tank deutlich. Die zivilen Autoritäten standen einer Ernennung ESCRIVÁs immer wohlwollend gegenüber, und es waren ganz im Gegenteil die Nuntiatur und der Heilige Stuhl, die eine ablehnende Haltung zeigten.

Vermutlich hat seine Stellungnahme gegen das „Vorschlagsrecht“ für Bischofsernennungen damit zu tun, dass er zu diesem Zeitpunkt (wir sprechen vom Jahr 1969) bereits vollkommen von dem Gedanken Abstand genommen hatte, zu einem spanischen Ortsbischof ernannt zu werden und alle seine Kräfte darauf konzentrierte, das Opus Dei in eine praelatura nullius umwandeln zu lassen; so konnte er Bischof werden, ohne einer Intervention des panischen Staates zu bedürfen. Damit könnte man auch die folgende Aussage erklären: „Die Regierung darf nicht ihre Energien darauf verschwenden, etwas zu verteidigen, was sich nicht halten lässt und keinen Gewinn bringt“, denn eben für ESCRIVÁ brachte dieses Privileg nunmehr keinen Gewinn mehr.

Ich denke aber auch, dass diese widersprüchlichen Meinungen zum Vorschlagsrecht für Bischofskandidaten gegenüber einem Repräsentanten der spanischen Regierung auch noch einen anderen, gefinkelteren Grund haben  könnten.

Einerseits verkündete das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret Christus Dominus  (Nr. 20), dass die Kirche die notwendige Freiheit haben müsse, Bischöfe zu ernennen, unbeschadet der Einflussnahme ziviler Autoritäten: „Um daher die Freiheit der Kirche in rechter Weise zu schützen und das Wohl der Gläubigen besser und ungehinderter zu fördern, äußert das Heilige Konzil den Wunsch, daß in Zukunft staatlichen Obrigkeiten keine Rechte oder Privilegien mehr eingeräumt werden, Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten aber, deren Wohlwollen gegenüber der Kirche die Heilige Synode dankbar anerkennt und hochschätzt, werden freundlichst gebeten, sie mögen auf die genannten Rechte oder Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig verzichten.“

Andererseits bemühte sich der Vatikan in diesen Jahren, sich vom damaligen politischen Regime in Spanien zu distanzieren und drängte die Regierung, auf das erwähnte Vorschlagsrecht zu verzichten. Sie widersetzt sich, weil sie dachte, nur so den politischen Einfluss der Bischöfe steuern zu können.

Und im Rahmen dieses „Konflikts“ könnte man die Vermittlung ESCRIVÁS mit diesem Beitrag verstehen. Nun, da er von seinen Bestrebungen, Diözesanbischof in Spanien zu werden bereits Abstand genommen hatte, konnte er sich dem Heiligen Stuhl gegenüber als ein Förderer der Politik des Vatikans präsentieren, der aueßrdem zeigen konnte, welchen Einfluss er auf die spanische Regierung hatte. Aber sicher ist, dass die Regierung FRANCOs niemals auf dieses Recht verzichtet hat.

3.- ESCRIVÁ übersiedelte nach Rom, um nicht in die Politik verwickelt zu werden (!)

Außerdem macht ESCRIVÁ noch eine überraschende Bemerkung: „Das [seine Freundschaft mit FRANCO] war eben eine der Gründe, nämlich dass ich nicht in die spanische Politik hineingezogen werde, warum ich von Madrid nach Rom übersiedelte".

Hier begegnen wir einem der vielen Fälle, in denen ESCRIVÁ und sein Opus Dei widersprüchliche Versionen oder Erklärungen für dasselbe Faktum liefern, je nachdem, wir es im konkreten Fall günstig ist oder welchen Eindruck man erwecken möchte.

 a) Die Übersiedlung ESCRIVÁs nach Rom wird üblicherweise damit begründet, dass das Werk einen universalen Charakter habe, der es erforderte oder zumindest nahelegte, seinen Zenralsitz in der Hauptstadt der Christenheit zu haben; so stellen es die offiziellen Biografien dar.

 b) Trotzdem haben sie keine Probleme damit, ja nach den Umständen völlig unterschiedliche Gründe vorzubringen. Ich habe mich dazu schon ins meinem Beitrag vom 6. Juni 2014 geäußert. Dort kommentierte ich nunmehr bekannt gewordene Belege über ein Gespräch, das Portillo 1955 mit den spanischen Außenminister Martín Artajo mit der Absicht führte, ESCRIVÁ einen Bischofssitz zu verschaffen, und dort taucht eine ganz andere Begründung für die Übersiedlung nach Rom auf: „[Portillo] sagte mir, dass der P. ESCRIVÁ nach Rom gegangen war, um eine Kampagne von Anschuldigungen zum Schweigen zu bringen, die aus Neid oder Eifersucht entstanden waren und dass er seiner Institution dort nicht so dienlich sein konnte, wie er musste, vor allem weil der Rat noch in Madrid seinen Sitz hatte; aber es wäre dort auch nicht so geeignet, wenn er nicht die Bischofswürde mit einem eigenen Territorium bekleiden könne. Cita el precedente del Santo

 c) Schließlich erklärt ESCRIVÁ  in diesem Gespräch mit Garrigues aus dem Jahr 1969, das wir heute untersuchen, seine Übersiedlung von Madrid nach Rom damit,  dass er es vermeiden wolle, in die spanische Politik hineingezogen zu werden (mit Rücksicht auf seine enge Freundschaft mit FRANCO).

Freilich widersprechen diese Beteuerungen ESCRIVÁs über seine „enge Freundschaft" mit FRANCO und dass er „sehr vertraulich mit mir sprach“ völlig dem Bild, das die offiziellen Biografen zeichnen möchten. Peter Berglar hingegen schildert 1983 die Beziehungen zwischen ESCRIVÁ und FRANCO als kühl und distanziert.

Simplicio