J. M. : Der interne Jargon des Opus Dei

 
9. Januar 2004

Als ich als Assoziierter gepfiffen hatte, sagte mir der Direktor  meines Zentrums unter vier Augen sehr feierlich in einem dieser Einzelgespräche im Rahmen der einführenden Bildungsveranstaltungen, dass der einzige Ausdruck, der „zuhause“ eine andere Bedeutung hätte als draußen in der Welt, das Wort „pfeifen“ sei. [Anm.: span. pitar, als scherzhafte Anspielung zu „pedir la admisión“, „um die Aufnahme bitten“. Genau dieses Gespräch haben wir übrigens alle, Wort für Wort, hinter uns.] Nun, schauen wir ins Wörterbuch der Opus-Akademie für Sprache, so finden wir dort das erwähnte Wort mit seinen Ableitungen: Pfeifkandidat, Pfeiftag, umpfeifen (von Supernumerarier auf Numerarier) etc. In diesem Augenblick verstand ich noch nicht wirklich, wofür diese unerbetene Auskunft gut sein sollte, dass es nicht mehr als diese eine esoteri­sche Vokabel gab.

Esperanto wurde ja beispielsweise auch erfunden, damit die Leute miteinander kommunizieren können. Aber manchmal macht man eben die Erfahrung, dass man etwas zwar hört, aber trotzdem Bahnhof versteht, zum Beispiel bei dem Wort Desoxyribonukleinsäure, oder Zyklopentan. Man merkt schon, diese Wörter sind nur für die Schlauen bestimmt.

Nach wenigen Monaten wusste ich dann, wofür diese Erklärung gut war: Sie war gelogen. Es war die erste der vie­len Lügen, die Aldous Huxleys Satz  aus „Schöne neue Welt“  bestätigen: „Hunderttausend Wieder­holungen machen eine Wahrheit“. Wie viele Fachausdrücke sind mir nach meinem Beitritt 1994 untergekommen – von „empfehlen“ bis „Kassa machen“. Der interne Jargon existiert, und wie! Eine kleine Liste mit dem Grundwort­schatz könnte hier durchaus hilfreich sein, und es ist sehr erwünscht, wenn ihn andere Beiträger ergänzen. Gut, ich will nicht weiter ausholen und fange an:

 

 

A-FEST: Feier, begleitet von religiösen Zeremonien und gutem Essen. Während des guten Essens und des Beisammenseins fehlt es nicht an Geschichten über „den Vater“. Es ist eine Reaktion wie beim Pawlowschen Hund, der zu sabbern beginnt, wenn das Glöckchen läutet. Gib einem Numerarier etwas Feines zu essen, und er wird „an den Vater“ denken...

APOSTOLISCHE VIBRATION: keine besondere Form von Parkinson, sondern das Bemühen jedes einzelnen Mitgliedes, ein aktiver Verkäufer zu sein.

ASSOZIIERTER: Eine der drei Arten, wie man (entschuldigt, wenn ich die männliche Form verallgemeinere!) zum Werk gehören kann. Da sind die Numerarier, die den apostolischen  Zölibat leben (oder sagen wir, sie bleiben Junggesellen), und sie leben zusammen mit anderen Numerariern in Zentren des Werkes. Assoziierte leben auch zölibatär, aber bei ihrer „Blutsfamilie“, oder sie teilen sich eine Etage mit einem Kollegen (eher sehr selten mit einer Kollegin) oder wie auch immer, aber mehr auf eigene Faust und weniger unter Kontrolle als die Numerarier. Die Supernumerarier zölibatieren nicht: Entweder sie sind verheiratet, oder aber sie sind noch jung und das Orakel hat gesprochen, dass sie keine Berufung zum  Numerarier oder zum Assoziierten haben. Sie werden heiraten (obwohl ich auch einmal einen älteren Supie ohne Begl. gekannt habe). Die Assoziierten kriegen weniger mit als die Numerarier,  und die Supernumerarier gar nichts. Manchmal wir auf eine mehr oder weniger versteckte Art, dass die Supernumerarier die Berufung besonders authentisch leben, weil sie ja wirklich „mitten in der Welt leben“, sich mit fünf Kindern abrackern etc. Andere Experten reichen die Blumen an die Assoziierten weiter, weil sie fast dieselbe Ausbildung bekommen wie die Numerarier, vor allem die Lehre des hl. Thomas von Aquin, aber nicht im Gewächshaus sitzen.

BEWAHRUNG DES BLICKS: Das hat nichts damit zu tun, dass man zum Augenarzt geht, sondern dass man sich davor hüten muss, eine Frau mit begehrlichen Augen zu betrachten. Wenn es beispielsweise eine Arbeits­kollegin gibt, mit der du regelmäßig Rücksprache betreffs der Produktionszahlen von Isolierdraht halten musst, wärst du ein echtes Schwein wenn du darauf kommst, dass du mitbekommen hast, welche Augenfarbe sie hat. Dann hast du nämlich deinen Blick auf jenem Teil des weiblichen Antlitzes ruhen lassen, den die Frauen instinktiv einsetzen, um Leute wie dich zu verführen, die inmitten der Welt keusch zu leben trachten. Wenn du mit ihr von Angesicht zu Angesicht sprichst, lässt du deinen Blick am besten in regelmäßigen Abständen von der Nasenwurzel zum Ohrläppchen wandern und zurück. Das ist kein Scherz: Der Gründer hatte in den dreißiger Jahren eine bejahrte (?) Bekannte, von der ein Gemälde hergestellt werden sollte, und der Gründer konnte dem Maler keine Auskunft über ihre Augenfarbe geben.

BIENNIUM: Die philosophische und theologische Bildung der Numerarier teilt sich in ein philosophisches Bi­en­nium, in dem man Aristoteles lernt, und ein theologisches Triennium, in dem man sich Thomas widmet. Die Be­zeichnungen sind etwas fragwürdig, da man die Prüfungen anfangs nur in den Jahreskursen im Sommer ab­legt, bei denen man auch sonst viel zu tun hat, und deshalb dauert Bi-ennium sieben oder acht Jahre, und das Tri­ennium Ende nie. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Numerarier, die intellektuelle Elite des Opus Dei, dür­fen mehr studieren und sind früher fertig. Als Krönung wartet dann die Soutane auf sie, wenn jemand (ich glau­be, der Prälat), festgestellt hat, dass der Priesterkragen gestärkt ist und man ihm dem Meier umhängen kann, dann ermuntert man den Kandidaten zum akademischen Endspurt, und wenn ihm noch 15 Prüfungen fehlen, soll er sie, ohne sich durch weltliche Dinge ablenken zu lassen, in Cavabianca (Rom) fertig machen, wenn er Numerarier ist, oder an der Universität von Navarra, wenn er Assoziierter ist; dann kann er geweiht werden.

ER IST GUT UNTERWEGS. Wenn jemand sagt, dass man „X empfehlen soll, weil er sehr gut unterwegs ist“, heißt dass, dass er auf dem besten Weg ist dem Opus Dei beizutreten.

FAMILIENLEBEN. Wie bei der Mafia, bestimmten Unternehmen mit hoher corporate identity, Kleingruppen mit bestimmter sexueller Ausrichtung oder politischen oder kulturellen Vereinigungen pflegt man zu betonen, dass wir „eine große Familie“ sind, „we are family“; das OD nennt sich eine Familie, und wenn  man einem Numerarier sagt, dass er „mehr Sorgfalt auf das Familienleben“ legen soll, heißt das , dass er bei den Mahlzeiten und den Beisammenseins nicht fehlen darf. Das heißt aber nicht, dass man untereinander über jedes beliebige Thema reden oder dass man „mit jemandem aus der Familie“ in ein Café etwas trinken gehen dürfe.

FREIHEIT.  Das Wort bezeichnet hier nicht die Fähigkeit zu wählen, sondern im Opus Dei bedeutet es, sich die Anordnungen der Direktoren zu eigen zu machen und nicht dritten gegenüber zu sagen „sie haben mir nicht er­laubt“ oder „sie haben mir nicht gesagt“. Der Gründer hat auch klar gemacht, dass „Freiheit“ nicht „Freiheit des Wortes“ bedeutet. Ich kann nicht glauben, dass es im Werk jemals durch eine schmutzige Indiskretion dahin kom­men wird, dass Dinge nach außen getragen werden könnten die uns bedrücken. Denn wenn jemand seinem Kummer Luft machen, Kritik üben, die eigene Familie anschwärzen möchte, wäre das ein derart teuflisches Un­ternehmen, dass es nur von jemand ausgehen kann, der unseren übernatürlichen  geist vollkommen verloren hat.

GLAUBEN. Der Gründer „glaubte“ an vieles; mir haben sie „die übernatürliche Sicht genommen“.

GRUPPENBEAUFTRAGTER, ZELADOR: eine Besonderheit bei Zentren von Assoziierten (und Supernumerariern, dass eine solche Person bei „Bildungsaufgaben und der Leitung der Seelen“ hilft; er hält Vorträge und nimmt Aussprachen entgegen.

ICH SEHE, DASS DU SEHR ERSCHÖPFT BIST.- Wenn jemand kritischen Geist äußert, „lädt man ihn ein“, „sich zu erholen“; wenn er weiterhin „erschöpft“, wird das Opus Dei zur Kenntnis nehmen, dass seine Art der Motivierung fehlgeschlagen ist und einen Psychiater empfehlen. Der wird die Schuldgefühle noch verstärken und starke Psychopharmaka verschreiben.

MEINE TÖCHTER UND SÖHNE.- Der Ausdruck bezieht sich auf die Gläubigen  der Prälatur. Merkt man, worin der Unterschied besteht? Am Ende der „Familien“-Treffen beten wir „Heilige Maria, unsere Hoffnung, Sitz der Weisheit, Magd des Herrn“ [das eine bezieht sich auf die Männer, das andere auf die Frauen].

GEISTIGES EIGENTUM: Dieses Recht muss um jeden Preis verteidigt werden, wenn es um das Opus Dei © geht, aber wenn man die apostolische Armut lebt und deshalb Software, CDs, Filme kopiert und Produktpiraterie unterstützt, weil man nicht das Geld für das Original hinlegen will, ist das etwas anderes.

MENSCHLICHER UMGANGSTON. Gesellschaftlicher Schliff zu möglichst geringem Preis. Deshalb sind neue Zentren kein Zuhause, sondern eine Theaterkulisse. Der menschliche Umgangston erfordert es, gebrauchte Wäsche zu verwenden, die Dinge nicht bei ihrem Namen zu nennen etc.

JEMAND VON ZUHAUSE. „Jemand“ ist ein unbestimmtes Fürwort, kein Substantiv. Im Opus Dei würde es niemand wagen zu fragen, wie es „Bruder Hans“ geht; schließlich sind wir Laien und keine Mönche. Wer also ist mein Nächster – ein Kollege? Ein Nachbar? Ein Freund? Ein „Mitbewohner“? „Jemand von Zuhause“ heißt einfach, dass wir anonym und austauschbar sind.

KREIS: doktrineller Bildungsvortrag, der einem exakten Drehbuch folgt und für die Herren (oder Damen) be­stimmt ist, die mit dem Werk sympathisieren und Hoffnung machen, dass sie zu weiteren Schritten bereit sind. Fixer Bestandteil ist dabei ein Vortrag über einen bestimmten Aspekt oder eine Tugend des christlichen  Lebens, ganz auf die Bedürfnisse und den Blickwinkel des Werkes zurechtgebürstet, dazu Fragen zur Gewissenserforschung, all das garniert mit einem Einleitungs- und einem Schlussgebet. Ich erinnere mich, wie das war, als ich das erste Mal zu einem Bildungs-„Kreis“ eingeladen wurde (offiziell heißt das „Kreis von St. Raphael). Ich dachte mir: „Wieso ein Kreis? Ein Kreis ist rund, hat keinen Anfang und kein Ende. Oder heißt es „Kreis“, weil hier alle gleichberechtigt sind? O heilige Einfalt! Du kommst hin und merkst sofort, einer redet, die anderen hören zu, und ein Oberstreber (der ist vermutlich auch vom Werk) schreibt alles in seinen Taschenkalender, damit er bis nächste Woche (dann ist der nächste Kreis) sein asketisches Rüstzeug beisammen hat. Es hat Charme, dass du eine Zeitlang kommst, dann pfeifst du, und dann sagt dir der Direx, dass du jetzt zum „richtigen“ Kreis kommen sollst, dem echten, für die Leute vom Werk, den „Kurzen Kreis“. Du denkst dir, seltsam, der Super-Überdrüber-Kreis für die Mitglieder, und dauert nicht so lang wie der von St. Raphael. Und dann merkst du, dass der „Kurze Kreis“ fünfzig Minuten dauert. Eine von vielen Paradoxien.

LEBENSPLAN. Das Wort könnte ja auch bedeuten, dass man es auf sich nimmt, das Projekt seiner Ideale nicht aus den Augen zu verlieren, das man die Erfolge abwägt, die Niederlagen analysiert und sich neue Ziele setzt. Hier steht das Wort für die Normen der Frömmigkeit. „Und wie geht es mit deinem Lebensplan?“ Der Angesprochene innerhalb des Opus weißt schon, dass er jetzt über seine Gebet, den Rosenkranz und die geistliche Lesung sprechen soll.

ÖRTLICHER RAT/HAUSRAT: Hier kochen auf lokaler Ebene die, die das Sagen haben, mit Wasser. Er besteht aus einem Direktor (der immer Numerarier sein muss, auch bei einem Zentrum von Assoziierten oder Supernumerariern), dem Subdirektor, dem Sekretär und dem Priester. Die Art, in der ohne Beschönigung die intimsten Intimitäten der Mitglieder durchgehechelt werden, ist ebenso typisch für das Werk, wie es „undenk­bar“ ist, dass so etwas im Werk gemacht wird… Man lese zu diesem Thema einige Zeugnisse von dieser Seite…  

STUDIENZENTRUM: Manche sagen auch „Westpoint“ dazu. Zentrum, in dem die Numerarier die beiden ersten Jahre als juristisch vollgültige Mitglieder des Werkes verbringen , also mit 18 Jahren und nach der Oblation. Da werden sie über einen Kamm geschoren, erfahren, welche Frisur und welche Schuhe für sie in Frage kommen. Über die Uniformisierung des Innenlebens will ich jetzt nichts sagen. Man kennt diese berühmte Familienszene, dass ein Numerarier eben an seinem 18. Geburtstag den Koffer packt und in sein neues süßes Zuhause übersiedelt, egal, ob seine Mama bittere Tränen weint (nur wenn sie Supernumerarierin ist, freut sie sich einen Ast ab, dass sich wieder eine Seele Gott hingegeben hat). Das heißt aber nicht, dass alle Bindungen mit der Blutsfamilie abgebrochen werden; zahlen dürfen die Daheimgebliebenen weiterhin für alles.

VERWALTUNG: Das sind die, die das Geld ranschaffen? I wo! Die Antwort ist falsch. Sie brauchen vielmehr die Kröten. Das sind die Frauen, die zum Werk gehören und sich um die Zentren kümmern, wo Numerarier wohnen, oder andere Orte, wo es z. B. Konvivenzen gibt, also überall, wo Leute vom Werk wohnen, auch wenn es nur vorübergehend ist. Es sind die sogenannten Auxiliar-Numerarierinnen. Es ist unverzeihlich, wenn die Männer irgendetwas mit ihnen zu tun haben. Wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort im Zentrum bist, erstarrst du zur Salzsäule.

 

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