E.B.E.: Die Opferung der Kinder
1. Juni 2015

 

„Ich wenigen Dingen kann ich als Vorbild dienen. Allerdings denke ich, dass ich, bei allen meinen persönlichen Fehlern, doch als das Beispiel eines Menschen gelten kann, der zu lieben weiß“ (Escrivá, J.M., 1971)

„Ich liebe euch von ganzer Seele, ich liebe euch mehr als eure Eltern, auch wenn ich euch niemals gesehen habe“ (Escrivá, J.M., 1971)

Ihr sagt: Wie lieben, was der  Vater liebt, und hört ihr vorher auf [darum zu bitten]?Denn ich liebe außerdem, was Er liebt; so dass es eine sehr große Verpflichtung ist“ (Escrivá, J.M., zit. in „Meditaciones” III, S. 401)

Meine Kinder, wenn ihr nicht durch meinen Kopf geht, wenn ihr nicht durch mein Herz geht, habt ihr euch im Weg geirrt, und ihr habt Christus nicht in euch.“ (Escrivá, J.M., zit. in „Meditaciones” IV, S. 354)

Der Vater (*)

Vielleicht liege eine der erhellendsten Perspektiven, um das Opus Dei, seine Ausbreitung und seine Krise zu verstehen, in dem besonderen Band, das Escrivá von Anfang an an jene knüpfte, die ihm folgten: Er war ein Vater, aber nicht irgendeiner, sondern Der Vater, wie es auf dem Stein in der unterirdischen Krypta in Villa Tevere heißt. Escrivá, an erster Stelle, und dann die Prälaten, die ihm nachfolgen werden, deren Vaterschaft durch Bande bestimt sind, die enger als die des Blutes sind (so behauptet es das Opus Dei). Escrivá, und er verstand sich selbst als einen neuen Vater Abraham und sein Werk als neues Volk, das von Gott auf besondere Weise geliebt und gefördert wird (Kind des einen Vaters zu sein hat etwas von Vorliebe an sich, ein übernatürlicher Stammbaum, mit einer bestimmten Sendung, wie es bei den Propheten und großen Persönlichkeiten des alten Testaments war). Das Opus Dei entstand also in einem quasi-biblischen Kontext (vom eigenen Gründer wurde es uns so verkündet)...


Im folgenden Text bezieht sich A. del Portillo auf Escrivá als auf einen  Patriarchen:

„So wollte es der Herr seit dem 2. Oktober 1928 (…) dass ich der Patriarch dieser großen Familie bin, die sich von  einem Ende der Erde bis zum anderen ausbreiten musste. Und unser Vater hat sie allen seinen Nachfolgern bis ans Ende der Zeit übertragen.Die Vaterschaft ist das festeste Fundament der Einheit des Werkes, die die Sicherheit und den Zusammenhalt unserer Familie garantiert, die nichts und niemand erschüttern kann, wenn wir täglich mit einer anspruchsvollen Treue entsprechen“ (Del Portillo, A., zit. in Meditaciones, Bd. V, S. 139-140).

Aber der Gründer selbst sah sich, wie er gesagt hat, als ein Patriarch, indem er sich auf das 9. Kapitel des Buches Genesis bezog (es liegt damit auf einer Linie, dass ihn später einige mit Gestalten wie Moses verglichen haben):

„(…) meine Kinder, setzt meinen Namen nicht auf die Grabplatte, wenn ihr diesen armen sterblichen Körper begrabt. Und was sollen wir schreiben, werdet ihr sagen? Schreibt: et genuit filios et filias; er zeugte Söhne und Töchter, wie die Patriarchen. Und es war kein Traum. Sehr ihr nicht,  wie die Träume Wirkichkeit geworden sind? Das Werk ist heute eine Familie ohne Grenzen der Sprache oder der Herkunft; mit einer wunderbaren, wirklichen und übernatürlichen Brüderlichkeit, in der jeder einzelne eine große Liebe zur Freiheit und zur persönlichen Verantwortung hat“ (Meditaciones, Bd. V, S. 10).

Der Gründer appellierte so an die Grundlage jedes Menschseins, den Wunsch, geliebt zu werden (darin besteht letztlich das Glück), indem er eine neue, menschliche und übernatürliche, Familie gründete. Das Opus Dei ist in diesem Sinne mehr als alles andere, ein geistlicher Vater, der seine Kinder  mit einer übernatürlichen Liebe liebt, die größer ist als die aller leiblichen Eltern.

„Sehr ihr, dass der Geist der göttlichen Sohnschaft für die Kinder Gottes im Opus Dei mit der Kindschaft zum Vater untrennbar verbunden ist? Deshalb habe ich euch einmal darauf hingewiesen – so hat der Vate geschrieben – dass wir, wenn wir keine guten Söhne des Vaters sind, auch keine guten Söhne Gottes sein können“ (Del Portillo, A., zit. in Meditaciones, Bd. V, S. 141).

Opus Dei als „der beste Ort um zu leben“ ist der Himmel: der Ort der Gückseligkeit, und es ist kein Zufall, dass das Verlassen des Opus Dei gleichbedeutend ist mit dem ewigen Unglück (das sind die Worte Escrivás selbst). Der Opus Dei verkauft sich als den Himmel auf Erden: „Ihr werdet die Glückseligkeit nicht außerhalb eures Weges finden, Kinder.Wenn jemand vom Weg abkommt, bleibt für ihn eine schreckliche Reue zurück: Er wird ein Unglückswurm sein. Sogar diese Dige, die den Menschen ein gewisses Glück schenken, wird für eine Person, die ihre Berufung verlassen hat, bitter wie Galle, sauer wie Essig und ekelhaft wie Rhizinusöl“ (Escrivá, J.M. zit. in Meditaciones, Bd. III, S. 389).

Das, was dann eine fromme Gemeinschaft oder ein Säkularinstitut werden sollte, oder auch eine Personalprälatur, ist ein sekundäres Element, ledigich juridische Figuren, damit das Kind einen Namen hat und das Werk seinen Platz in der Kirche einnehmen kann. Nach innen wird deutlich gesagt, dass es lediglich auf die Kindschaft ankommt.  (die Brüderlichkeit ist weniger deutlich ausgeprägt und gehört eher in die rhetorische Trickkiste – diese Solidarität darf man gar nicht leben, weil man völlig auf den Vater fixiert bleibt).

Was Escrivá in der Theorie gründete – auf göttlichen Antrieb – war „eine Familie mit übernatürlichen Bindungen“, die sich über jede juristische Form hinwegsetzt.

Der Gründer hat festgelegt, dass Vollmitglieder dieser Familie nur die Numerarier sein können; so steht es in den  Konstitucionen von 1950 (16. § 1). Wenn man später auch erklärt hat, es sei nicht so, so hat es sich doch in der Praxis so verhalten.

Escrivá gab uns zu verstehen, dass die Fundamente des Opus Dei durch eine bedingungslose Liebe gebildet werden, die ihren Grund in der göttlichen Auserwählung haben, denn die Institution hat einen mütterlichen Charakter, aufgrund des väterlichen Charakters seines Gründers. Für diejenigen, die sich im Opus Dei hingeben, besteht die Treue zu Gott in der Treue zur Institution und zu seinem Gründer. Nötig ist nur, sich bedingungslos hinzugeben, um dieser unendlichen Liebe Gottes zu entsprechen, die Fleisch geworden ist in seinem Opus Dei und in seinem Gründer.

Escrivá schuf das natürliche Band zwischen Vater und Sohn und stellte es als den Eckpfeiler der Organisation dar (hier sind die Psychologen gebeten, eine professionelle Analyse anzuschließen).

Damit man das recht versteht, es wäre unmöglich, sich den Apostolaten der Prälatur zu widmen, ohne zugleich „Sohn des Vaters“ zu sein: Das Band bezieht sich nicht auf eine Institution, sondern eine Person, den Vater, und aufgrund dieser Bindung wird alles hergegeben.

Der Brief, den man dem Vater schreibt, um die Aufnahme zu erbitten, bezieht sich auf die Sohnschaft, nicht um eine Einschreibung. Das so präsentierte Panorama wirkt idyllisch, so lange zumindest, bis man andere, verborgene Aspektre an eben diesem Vater entdeckt.

Am Anfang scheint es natürlich zu sein, dass sich der Vater, aufgrund seiner väterlichen Lieben, auch durch die Institution in das Leben seiner Kinder und in deren Beziehung zu Gott einmischt: „Wenn ihr nicht durch meinen Kopf geht (…), gehört ihr nicht zu Christus“ (der Zusammenhang dieses Satzes ist nichts mehr und nichts weniger als das Gleichnis vom Weinstock und den Rebzweigen). Dieser Vater besetzt alles. Ein Vater möchte, dass seine Kinder wachsen, aber nicht zu sehr.

Im Unterschied zu dem, was in andren religiösen Vereinigungen geschieht, ist es im Opus Dei keine Metapher oder Allegorie, „Sohn des Vaters“ zu sein, so wie man den Gründer „unseren Vater“ nennt. Dies ist die Beziehung, die die Einheit des Opus Dei definiert.

So erklärt sich z. B., dass es nie ein Thema war, dass man auf die Statuten keinen Zugriff hatte: Einzig wichtig ist nur der Vater. Das Juristische spielt dabei eine recht untergeordnete Rolle im Vergleich mit dem Wort des Vater, dem Einzigen, das gilt, es verleiht Autorität und entscheidet, man muss ihm gehorchen, gehorsam bis zum Tod.

In gewisser Weise bedeutet die Berufung zum Opus Dei die „Hingabe des eigenen Lebens an den Vater“, sodass man den Vater zum Herrn über das Leben seiner Kinder macht, der über ihr Leben verfügt, wie es ihm gut dünkt.

Dass es sich für den „Herrn“ hält, zeigt sich in den Übergriffen auf die Intimität der Kinder, die sich in der Leitung der Gewissen konkretisiert, in die er sich einmischt.

In diesem Zusammenhang liegt die Bedeutung der Dispens (abgesehen von ihrer kanonischen Berechtigung) darin, dass sie die „Erlaubnis“ des Vaters ist, dass sein Kind gehen darf. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Dispens eine Schande, und so stellte Escrivá auch den Weggang in seinen Schriften dar. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn spricht da eine ganz andere Sprache.

Raimon Panikkar war einer der ersten im Opus Dei. Er wurde 1946 uim Priester geweiht und verließ die Institution gegen 1966. Im Rückblick erschienen ihm diese Jahre im Opus Dei als eine „permanente Ekstase“, die ihn  die rigide Strenge innerhalb dieser Organisation ertragen ließ (Vgl. Panikkar, Raimon y Carrara, Milena: „Pelegrinatge al Kailasa”, Ed. Portic, 2009, S. 158). Das, was Panikkar erlebte, ist wahrscheinlich dasselbe, was viele über längere Zeit hindurch wahrgenommen haben.

Die Liebe, die der Vater im Ausgleich für das Opfer in Ausicht stellt, das er von seinen Kindern fordert, kann sehr wohl eine ekstatische Atmosphäre erzeugen, wie sie Panikkar nennt. Die Liebe des Vaters ist Verheißung und Belohnung; der Preis dafür ist das Opfer.

Das Opfer der Kinder

Die Beispiele, die wir in diesen letzten Monaten miterleben mussten, beschäftigen uns nach wie vor: Die Priester Danilo Eterovic und José Luis Martí (ich beziehe mich auf diese beiden vor allem wegen ihrer schriftlichen Zeugnisse, die uns vorliegen).

Danilo Eterovic scheint sich an das Opus Dei angeschlossen zu haben, weil er es als seine Familie und Escrivá als seinen Vater ansah. „... ich, der ich ohne Vater und die meiste Zeit ohne Mutter gelebt habe. Ich hatte das Gefühl, dass dies mein wahres Zuause sei“ (Danilo Eterovic, im Interview mit J.L. Olaizola). Und der Bruch dieses Bandes drückt sich in seinen schlimmen Abschiedsworten aus: „Ich bin zurückgewiesen worden“, und das ist das Gegenteil jener bedingungslosen Liebe, die er am Anfang empfunden hatte. Das Opus Dei scheint für Danilo eher eine Hölle als der Himmel gewesen zu sein, der schlimmste Ort, um hier zu leben.

Im Fall von José Luis Martí verhält es sich ähnlich und zugleich besonders (obwohl nicht nur aus diesem Grund): In seinem Brief bittet er den Vater wörtlich, dass er ihm erlaubt, „das Vaterhaus zu verlassen“, dass ihm die Last des Jochs abgenommen wird, das er auf dem Rücken trägt (das bedeutet es, „Sohn dieses Vaters zu sein”). Er erträgt es nicht mehr, an diesem Ort zu leben – nicht nur in diesem Haus, sondern vor allem in dieser Familie -genauso wie Danilo. Das Opus Dei hat aufgehört, der Himmel zu sein, und sich in einen Ort der Qualen verwandelt.

Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass diese Bitte in den Ohren des Vaters wie eine Beleidigung klang.

José Luis beschreibt sich nach dem Los Isaaks, der darum bittet, nicht geopfert zu werden. Und der Vater, wie ein scherhöriger Abraham, mit dem Opfer dieses Sohnes weitermacht, weil er glaubt, dass Gott ihn darum bittet.

Dieser Brief zeigt deutlich, was ausgeblendet ist und wovon wir keine Details wahrnehmen: die Ruchlosigkeit eines Vater, der sich immer wieder geweigert hat zu antworten, und der den Sohn angesichts der Hartnäckigkeit und Unerbittlichkeit des Vaters flehen lässt (diese Charakteristik ahmen die Direktoren nach, wenn sie Abraham spielen zu müssen glauben und die ihnen Anvertrauten aufopfern in der Überzeugung, einen göttlichen Befehl auszuführen).

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Wenn man den Brief des Priesters Martí liest, fragt man sich, wieso er nicht einfach gegangen ist und die Tür hinter sich zugeknallt hat? Zweifellos zeigt dieser Brief, dass esJosé Luis schlecht gegangen ist, aber andererseits zeigt er den Grad der Unterwerfung, den der sogenannte Vater ausgeübt hat und ausübt (zusammen mit seinen endlosen Hinweisen).

Das gleiche könnte man vom Fluch Escrivás sagen, der „seinen Kindern, die ihn verlassen“, die Bitterkeit des Rhizinus angedroht hat. Für viele Menschen, die das lesen, ohne dem Opus Dei angehört zu haben, klingt das alles wie ein Scherz. Aber man muss in Betracht ziehen, wie Escrivá das gemeint hat. Das Entscheidende ist die Bindung von Person zu Person: Wer das Opus Dei von außen betrachtet, unterliegt nicht dieser „kindlichen Bindung“, und es betrifft ihn weder noch kann er das nachvollziehen.

Wie ich vorher gesagt habe, ist das juristische Band nicht das Wichtigste („Was kümmert es mich, ob die Laien in die Prälatur inkorporiert sind oder nicht, wenn sie nur Kinder des Vaters sind?“, könnten sich viele innerhalb des Opus Dei denken). Das intensivste Band mit dem Opus Dei konstituiert sich durch die „Kindschaft dem Vater gegenüber” und endet mit dem Bruch dieses Bandes. Dieses Band zu brechen wird zum Trauma, vor allem wenn die in einer heiklen psychischen Situation geschieht.

Dieses Band impliziert zumindest zwei Dinge: die völlige Hingabe (Aufgabe des Besitzes) und das persönliche Opfer (sich von sich selbst freizumachen und das eigen Leben dem Vater und für den Vater aufzuopfern). Indem man sich in echte Sklaven des Vaters verwandelt, wird die Erlangung der Freiheit aussichtslos, und man hat nicht mehr die Kraft zu gehen. Man wird in allem abhängig, so sehr, dass man im Extremfall bitten muss, wie es Martí tat.

Die Kinder leben nicht nur die Armut von Ordensleuten – darüber ließe sich reden – sondern sie lösen sich vollständig von allem, um in allem vom Vater abhängig zu sein. Das sieht zwar dem Armutsgelübde ähnlich, der große Unterschied besteht aber darin, dass das Ziel nicht die Vereinigung mit Gott ist, sondern dass der Vater die vollkommene Kontrolle über das Leben seiner Kinder übernimmt. Das Ziel ist nicht, dass sie Ordensleute sind oder wie Ordensleute leben, sondern dass sie in allem dem Vater unterworfen sind, wie die Reben mit dem Weinstock verbunden sind (im Gleichnis des Evabgeliums ist der Weistock Christus; im Opus Dei ist es der Vater).  Von daher rührt die vollkommene juristische Anarchie – Statuten, die nie gelesen werden, eine vorausschauende Ordnung existiert praktisch nicht (das zeigt sich darin, dass die Mitglieder, die interne Arbeiten verrichten, nicht pensionsversichert sind, sondern ganz vom Vater avhängig bleiben).

Es ist bemerkenswert, dass sich José Luis am Ende seines Briefs verabschiedet – von diesem Subjekt, der in der Augen eines Unbeteiligten eher wie ein Henker als ein Vater wirkt – „den er immer wie einen Vater geliebt hat”.  Die Wirkung der Gestalt des Vaters ist hypnotisch, um nicht zu sagen erdrückend.

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Sowohl Danilo Eterovic wie auch José Luis Martí bieten getreue Beispiele des Holocaust, der völligen Aufopferung des Selbst, eine Selbstzerstörung, die die Verehrung der Vaterfigur unterstreicht, dem sich die Kinder zum Opfer bringen, als wäre er Gott selbst.

Die Art, wie beide starben, lässt daran denken, dass sie an einer Art psychologischer Folter gelitten haben (vgl. das Opfer Martís). Beide haben Selbstmord begangen, und beide haben vorher schriftlich Zeugnis über den Zustand ihres Geistes und ihres Herzens abgelegt. Auch wenn es Extremfälle sein mögen, es sind jedenfalls kene Einzelfälle. Was üblicherweise geschieht, ist, dass die Mehrheit vor diesem Abgrund davonläuft oder sich einbremst. Aber sehr viele gehen in diesem Prozess „innerer Aufopferung“ zugrunde, der wenig mit der Suche nach der inneren Heiligkeit zu tun hat, sondern vielmehr ein System narzisstischer Tyrannei ist.

Es gibt Menschen, die es nicht bemerken oder nicht zeigen, dass sie unter ihrerm Hang zur Selbstzerstörung leiden – ganz im Gegenteil, sie sehen sich als besessene, akribische Systematiker  – ideal, um Leitungsposten im Opus Dei einzunehmen – und deshalb finden sie das Leben in dieser „übernatürlichen Familie“ mehr als angenehm. Erst im Lauf der Jahre – und Jahrzehnte – werden sich einige dessen bewusst, und einige erkranken einfach, ohne sich dessen bewusst zu werden – dass sie einem enormen Verschleiß ausgesetzt waren, aber dann wird es zu spät sein, um darauf zu reagieren: Sie sind erschöpft, werden mit Psychopharmaka sediert und werden sogar ernsthaft psychisch krank. Wenn sie zuerst stärker als die anderen wirkten, so haben sie in Wirklichkeit nicht die Mehcanismen entwickelt, um angemessen auf alle Herausforderungen des Lebens zu reagieren.

Wenn sich am Beginn einer Berufung zum Opus Dei eine väterliche Gestalt zeigt, die bereit ist, „ihr Leben für die Schafe hinzugeben“, bis zum Ende; wenn man die Institution verlässt,  erleben nicht wenige einen Vater, der sich für diese Personen nicht interssiert und sie im Stich lässt, von denen er gesagt hat, dass er sie so sehr liebt.

Die innere Zerrüttung der „Kinder“ kann viele Ursachen haben, aber eine von ihnen scheint die Unmöglichkeit zu sein, sich dem Vater zu widersetzen, seinem Willen zuwiderzushandeln, denn das käme einem Abfall und der erklärten Feindschaft mit Gott gleich.

Man kann das sogar deutlich sehen, dass es unmöglich ist, die Priesterweihe zu verweigern: Das sagt Martí ausdrücklich. Und er ist nicht der einzige Priester, der auf Wunsch desVaters geweiht wurde.

Obwohl Martí niemals so handeln wollte, nicht einmal obwohl er davor gewarnt hatte, muss sein Brief eine echte Beleidigung für en Vater dargestellt haben (vom Gesichtspunkt des Prälaten aus, versteht sich), und zwar aus zwei Gründen, von denen der eine bereits erwähnt wurde (die Zurückweisung des Vaters und seines Werks, an erster Stelle).

Dann, als Martí den Vater ersuchte, die Ungültigkeit seiner Weihe anzuerkennen, hat er etwas völlig Unmögliches verlangt, denn es hätte bedeutet, dass der Vater zugibt sich geirrt zu haben, als er ihn als Kandidaten für das Priestertum auswählte. Es wäre sehr schwer gewesen, dass der Vater einen solchen Irrtum zugibt. Wer dafür gerade steht, ist das Kind selbst mit dem Opfer seines Lebens. Das ist vielleicht einer der Gründe, weshalb der Prälat auf die Bitten Martís nicht geantwortet hat.

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Der Vater hat eine bedinungslose Liebe, der die Kinder entsprechen müssen, mit einem Opfer, das ein vollkommenes Selbstopfer,  ein Holocaust sein muss. Das scheint das innerste Wesen des Bandes zu sein, das – im speziellen Fall des Opus Dei – den „Vater“ an seine „Kinder“ bindet.

Erinnern wir uns einmal mehr daran, was Escrivá gesagt hat:

„Man muss den Herr bitten, dass er uns den Tod schickt, bevor wir untreu werden“ (Escrivá, J. M., zit. in „Meditaciones”, V, S. 404)

Es ist besser, den Tod zu suchen, als das band mit dem Opus Dei zu brechen. Hier zeigt sich eine Dramatik, die mit den „Statuten“ nichts zu tun hat. Was hier abhäuft, geht weit darüber hinaus. . Jetzt versteht man die Selbstmorde von Danilo Eterovic und José Luis Martí (und die vieler anderer) besser. Das Band mit dem Opus Dei, das aus einer bedingungslosen Liebe des Vaters entspringt, enthüllt sich zuletzt auf dramatische, ja tödliche Weise.

So wie sich das Opus Dei darstellt – und das macht es zu etwas so Eigenartigem  – ist es ein pathologisches Band, das viel weiter geht als jedes juristische Vertragsband (Vgl. Katechismus des Opus Dei, 1995, Nr. 95) und es ist sogar ein heiliges Band (deshalb benötigt man eine Dispens).

Das zeigt sich in dem Moment, wenn man dieses Vertragsband lösen will: Man wird mit der Bitterkeit des Rhizinusöls bedroht (im Lauf der Zeit werden sich die Leiter gewiss bemühen, diesen Ausspruch des Gründers abzumildern oder sogar aus der Geschichte des Opus Dei auszuradieren, so als wäre er niemals gefallen oder wäre eine Art „Metapher“ gewesen).

Während es die Statuten vorsehen, von der Bidnung zu dispensieren, verzieh es Escrivá niemals, wenn „einer seiner Söhne“ die Verbidnung mit „diesem Vater“ aufgeben wollte. Das hat gar nichts mehr mit juridischen (Vertrag) oder theologischen (Gelübde) Notwendigkeiten zu tun, sondern es gehört in das Umfeld der Psychopathologie.

Wenn Escrivá sagt, dass man nur durch seinen Kopf zu Gott gelangt und dass jemand, der das Opus Dei verlässt, aufhört zu Christus zu gehören, zeigt sich klar die Verzerrung. Seine Äußerungen sind keine theologisch qualifizierte Botschaft, sondern sie entsprechen seinen eigenen psychologischen und vielleicht psychopathologischen Gründen. Damit will ich sagen, dass sich diese Gründe nur in seinem Kopf befinden und in den Köpfern derer, die ihm folgen, und nirgends sonst. Es sind keine äußeren Gründe oder solche, die sich mit religiösen, juristischen oder theologischen Argumenten etc. rechtfertigen ließen).

Um das Opus Dei zu erklären, muss man tief in die Psyche seines Gründers eintauchen, denn hier finden sich zahlreiche Gründe für die Anomalien dieser Institution (Vgl. Marcus Tank: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung des Gründers des Opus Dei und Die narzisstische Pathologie des Opus Dei von Oráculo).

***

Die Entlassung

Der Vater gestattet die Emanzipation auf keine Weise. Es ist schwer zu gehen, weil es zugleich bedeutet, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, während man doch noch ein Kind ist (Vgl. Kindergärten für Erwachsene). Wenn die Kinder ständig dem Willen des Vaters unterworfen sind, werden sie niemals erwachsen. Bestenfalls verwandeln sich einige in „ältere Brüder“, die als Augen und Ohren des Vaters fungieren.

Die Desilluionierung beginnt, wenn diese bedingungslose Liebe, die so oft verkündet und versprochen wurde, nicht den Opfern entspricht, die man, oft viele Jahre hinduch – gebracht hat. In diesem Sinn ähnelt das Opus Dei der Fremdstruktur des Films „Matrix“: Eine ideale Welt wird um den Preis eines beständigen Opfers geschaffen (und man funktioniert als Battiere des Mechanismus, der diese Illusion schafft). Die Illusion unterstützt das Opfer und das Opfer unterstützt die Illusion.

Der Austritt aus dem Opus Dei könnte der gemeinsame Nenner sein: Die Erfahrung der Zurückweisung durch eben diese Institution (wie Danilo Eterovic bezeugt hat), wenn nicht durch den Vater selbst. Die Beziehung endet, wenn man entdeckt, dass man in Wirklichkeit gar nicht geliebt wurde, sondern nur in dem Maß, wie man nützlich war (durch die Hingabe und Opfer) oder in der Hoffnung, dass man nützlich werden könnte.

Es ist kein Problem der Inkohärenz – davon gibt es im Opus Dei genug – und auch nicht der „Berufung“, über die ja immer die Vorgesetzten entscheiden -  es ist ein Problem von Angenommensein und von Zurückweisung. Man erträgt lammfromm alle Widersprüche, solange man sich geliebt weiß (oder das zumindest glaubt).

Wenn mich der Vater und das Werk lieben, was kümmert mich alles Übrige? Und wenn mich Vater und das Werk nicht mehr lieben – dann dass sie kein Interesse mehr an einem haben, merkt man – was sollte mich da die Instituition und die Berufung noch interessieren. Im Gegenteil, dann wird es nötig, die destruktive Beziehung so schnell wie möglich zu beenden.

Ebensowenig handelt es sich um die "Zerrüttung einer Beziehung“, wie sie in einer Ehe vorkommen kann. Die unbedingte Liebe des Vater kommt nicht zum Tragen; wenn man sie benötigt, glänzt sie durch Abwesenheit, wie der Brief Martís deutlich gemacht hat, während die Opfer der Kinder echt sind: Es gibt keine Zerrüttung der Beziehung, man entdeckt lediglich, dass sie falsch war (Vgl. La gran decepción). Diese Liebe des Vaters ist fiktiv, wenn nicht fingiert. Das hat Danilo Eterovic am meisten wehgetan und getroffen: „Ich wurde zurückgewiesen“.

Ich habe Zeugnisse von Älteren gehört, die gegen Ende ihres Lebens gesagt haben, dass sie „der Vater nicht geliebt habe“, oder, was dasselbe ist, dass sie sich vom Vater nicht geliebt fühlten – erschütternde und zugleich sehr erhellende persönliche Zeugnisse.

Antonio Petit erkannte gegen Ende seines Lebens, dass auch er nicht geliebt wurde; und so ging es vielen anderen. Auch www.opusfrei.org ist ein beredtes Zeugnis über die Aufopferung der Kinder.

E.B.E.