Gervasio: Die Hierarchie der Normen im Opus Dei
29/12/2014
Inn den verschiedenen juristischen Gesetzbüchern gibt es immer ein oberstes Gesetz – die Verfassung – denen die übrigen Normen nicht widersprechen können und die die Gesetzgebung prägt. Dann gibt es die vom Parlament gegebenen Gesetze, die von niedrigerem Rang als die Verfassungen sind, allerdings stehen sie über den Erlässen untergeordneter Behörden, wie der Ministerien etc. Etwas Vergleichbares gibt es auch beim Kanonischen Recht, dem Gesetzbuch der Kirche. Es gibt hier zwar keine Verfassung, aber über- und untergeordnete Regeln; zu den übergeordneten Normen zählt man das, was für Göttliches Recht erachtet wird. Die Normen des Kirchenrechts sind nicht nur diesem höheren Recht untergeordnet, sondern sie müssen ihm folgen und es weiterentwickeln und anwenden.
Die Hierarchie der Normen, wie sie im Opus Dei vorkommt, ist wesentlich rudimentärer. Solange ich im Reich Escribas lebte – und ich denke, heute ist es nicht anders – hing man nach folgendem Kriterium vor: Eine Norm wurde dann den anderen übergeordnet, wenn die Leiter auf ihnen herumritten. Wenn die Leiter auf etwas bestanden, so galt es mehr als das andere. Wenn etwas nicht beständig erwähnt wurde, galt es weniger. Und da man nicht immer auf demselben bestand, stellte sich innerhalb des Opus Dei die Hierarchie der Normen als wechselhaft und aalglatt dar. Es gibt keine Normen, die von sich aus für wichtig gehalten werden.
Ich erinnere mich an eine Zeit, in der es Mode war – es ging dabei um nichts weniger als um das spezifische Ziel des Opus Dei – dass sich nämlich das Apostolat des Opus Dei besonders an die „sogenannte intellektuelle Klasse“ richtet (Vgl. Constituciones von 1950 Nr. 2 § 3). Im Einklang mit diesem Ziel förderte man solche Dinge wie die Verbreitung der Zeitschrift „Die Tafelrunde“ – ein höchst nerviges Blatt, unnötiger als ein Kropf – um Gefolgsleute an der damals so genannten „Fakultät für Philosophie und Wissenschaften“ zu gewinnen. Später wurden solche Parolen zurückgenommen, denn an den Fakultäten für Philosophie und Literatur wird „schlechte Lehre“ erteilt. Abgesehen davon, dass die so genannten „Intellektuellen „ – was für eine Bezeichnung! – wenig Verständnis für den Index verbotener Bücher haben, wie er im Opus Dei üblich ist, ebenso wie andere Beschränkungen von der gleichen Sorte.
Über dieses Thema hat mir vor kurzem ein Numerarier geschrieben, der zwar noch dabei, aber doch ziemlich enttäuscht ist: (…) Es liegt ein Widersinn darin, dass man sich dann von der Welt abwendet wie ein Karmeliter und dann mit zehnjährigen Jungen Fußball spielt. Das Apostolat an der Universität ist praktisch zusammengebrochen, es gibt keine Numerarierberufungen unter den Studenten, zumindest in meiner Delegation; es würde mich wundern, wenn es in anderen Delegationen anders laufen würde.
Ähnlich war es mit der Haltung gegenüber dem Unterricht in Privatschulen. Zuerst war er verboten (Vgl. Statuten von 1941, Ordo, Art. 13, Nr. 10), dann wurde er zur Hauptaktivität des Opus Dei. Aber nicht einmal die Ursulinen sehen das als ihren Endzweck an. Die Supernumerarier müssen für die Gymnasien aufkommen, und die Numerarier und Assoziierten unterrichten dort. Das ist keine Nebensache wie die, dass die Numerarierinnen jetzt Hosen tragen dürfen; hier geht es um das Ziel des Opus Dei selbst. Man braucht sich nicht zu wundern, dass alles Menschenmögliche unternommen wurde, um das Reglamento von 1941, die Konstitutionen von 1950, die verschiedenen Ausgaben des Katechismus und sogar die Statuten von 1982 geheim zu halten. Was ist das Entscheidende im Opus Dei? Was sind seine grundsätzlichen und entscheidenden Züge? In jedem Moment das, was die Oberen sagen. Wenn sie einen auf die Intellektuellen loslassen, dann gilt eben das; wenn auf Kinder, dann auf Kinder. Hoch leben die Clubs für die Minderjährigen! Und alle müssen gehorchen, denn der Gehorsam ist eine sehr heilige Tugend.
Ich habe alles dies zusammengetragen, um zu zeigen, wie weitreichend die Folge dessen sind, was Msgr. Echevarría in seinem Brief vom 2. 10. 2011 geschrieben hat: Niemand ist dazu verpflichtet, in der Aussprache etwas zu sagen, was Gegenstand der Beichte ist (Nr. 14). Es handelt sich um einen Satz oder eine Idee des Gründers selbst, aber aus einer alten Zeit. Msgr. Echevarría erschien es angebracht daran zu erinnern, weil der Heilige Stuhl hier einen Wandel in der Praxis del Opus Dei angeordnet hat mit Bezug auf die geistliche Leitung und die sakramentale Beichte im Zusammenhang mit der Leitung der Prälatur. Die Priester des Opus verweigerten, wie wir aus Zeugnissen wissen, die Absolution, wenn der Pönitent nicht versprechen wollte, die Angelegenheit seinem Leiter mitzuteilen. Wir wollen hoffen, dass das jetzt nicht mehr so ist.
Noch etwas. Die Örtlichen Räte setzen sich mit dem Priester zusammen, bei dem du gebeichtet hast, um sich für ihre Entscheidungen über die ihnen anvertrauten Personen zu informieren. Deshalb ist es den Mitgliedern nicht einmal erlaubt, bei einem anderen Priester des Opus Dei zu beichten, lediglich beim „ordentlichen Beichtvater“, du das ist eben jener, der bei den Treffen des Örtlichen Rates dabeisitzt, mit Sitz, aber ohne Stimme. Die entsprechenden Entscheidungen und Informationen entstehen unter dem Einfluss des Beichtvaters, wie es nicht anders sein kann. Wer gibt in diesen Treffen den Ton an wenn nicht der Beichtvater?
Viele Mitglieder des Opus Dei beichten fügsam beim „zuständigen Priester“. Ich erinnere mich, dass ich brav eine ziemliche Zeitlang bei dem mir zugewiesenen Priester gebeichtet habe, obwohl er strohdumm war. Und abgesehen davon, dass er dumm war, machte er manchmal den Versuch, außerhalb der Beichte ein geistliches Gespräch zu beginnen, denn, so argumentierte er, könnte er nur schwer Auskunft über meine Person erteilen. Ich weigerte mich. Das geschah offenkundig nach 1962. Ich hatte nicht vor, ihm außerhalb der Beichte etwas zu erzählen – ihm oder dem Leiter – etwas, was man ihm nur in der Beichte bekannt hat – in meinem Fall war es nicht so -, sondern dass es ihm infolge des sogenannten „Beichtgeheimnisses“ nicht gut erschien, wenn er als einzige Quelle über Informationen verfügte, die aus der sakramentalen Beichte stammten. Bis 1962 gab es neben dem wöchentlichen Gespräch der geistliche Leitung mit dem „bestimmten Laien“ musste man alle 14 Tage beim „betreffenden Priester“, allerdings unabhängig von der sakramentalen Beichte, die man nach wie vor wöchentlich abzulegen hatte. Ich vermute, dass die Regelung, dass der Priester die Absolution verweigert, wenn der Pönitent sich weigern sollte, etwas Entscheidendes dem Leiter mitzuteilen, aus der Zeit nach 1962 stammt, denn ab da vermied man aus Zeitgründen diese Doppelgleisigkeit, zum Wohl der Beichtväter wie der Pönitenten.
Aber es geht noch weiter. Im Opus Dei hat man nicht „nur beim „zugewiesenen Priester“ zu beichten, jeder „Gläubige“ muss ein „brüderliches Gespräch“ führen, das auch „Aussprache“ genannt wird, bei einem bestimmten Laien und nach Art einer Geistlichen Leitung. Der „Gläubige“ kann sich nicht aussuchen, wem er seine intimsten Gewissensangelegenheiten eröffnen muss, so wie er sich auch den Beichtvater nicht aussuchen kann. Im Opus Dei werden beide aufoktroyiert. Die „Gläubigen“ besitzen weder die Freiheit den Beichtvater auszuwählen noch sich den geistlichen Leiter auszusuchen, wie wir wissen, und das widerspricht den Normen des Kirchenrechts. Und soviel ich weiß, besitzt das Opus Dei auch nicht das Privileg, sich über diese Norm hinwegzusetzen. Wenn sie es hat, möge sie es vorweisen. Keine Kritik um der Kritik willen, sondern hier geht es um etwas Grundsätzliches. Ich bin mir sicher, dass das Opus Dei über kein solches Privileg verfügt.
Um sein Gesicht zu wahren – sowohl gegenüber den Heiligen Stuhl wie auch gegenüber seinen „Söhnen und Töchtern“ und den übrigen Christgläubigen, behauptet Msgr. Echevarría, dass weder die Mitglieder des Örtlichen Rates noch der zugewiesene Priester „Jurisdiktionsgewalt“ über die Personen hätten, über die sie Entscheidungen treffen und über die sie Dossiers schreiben. Und niemand reagiert. Was soll´s?
Im Werk lesen wir lesen wir im Brief von der Trennung zwischen Ausübung der Jurisdiktionsgewalt und geistlicher Leitung, die vor allem dadurch sichergestellt werde, dass diejenigen, die Aussprachen der geistlichen Leitung entgegennehmen - die lokalen Leiter und einige andere, entsprechend vorbereitete Gläubige sowie die Priester bei der Feier des Bußsakraments - keinerlei Leitungsgewalt über die betreffenden Personen besitzen.. Dieselbe Idee wiederholt sich in einem Leitfaden, der dieses Jahr bei den Jahreskursen vorgetragen wurde: Die Aufgabe der Örtlichen Leiter ist die Verantwortlichkeit für die Erteilung der kollektiven Bildungsmittel – den übrigen Gläubigen und anderen Personen, die an den apostolischen Arbeiten teilnehmen – im Einklang mit den Vorschriften, die diejenigen verfügt haben, die die Jurisdiktionsgewalt haben (die Vikare der Regionen und der Delegationen mit ihren Räten),die Erteilung der persönlichen geistlichen Leitung und die apostolische und materielle Organisation der Zentren, dem Ort eines einfachen brüderlichen Zusammenlebens im Klima eines christlichen Zuhauses. Unser Vater bezeichnete diese Funktionen unter dem Namen eines Örtlichen Rates (Teil IV, Kap. I, Nr. II). Die Wahrheit ist aber, nebenbei bemerkt, dass es nur ein schlechter Scherz sein kann, dass der Gründer die Bezeichnung Örtlicher Rat gebraucht haben soll, um die Tätigkeit derer zu bezeichnen, die keine Leitungsgewalt haben. Aber kommen wir zum Kern der Sache zurück, denn ich schweife ab. Ich konnte mir nicht helfen, ich musste lachen.
Der Kern des Problems besteht nicht im Byzantinismus, ob die „Örtlichen Räte“, wie sie der Gründer nannte, Jurisdiktionsgewalt haben oder nicht. Tadelnswert dabei ist, dass die vom Gründer so genannten „Örtlichen Räte“, die angeblich keine Jurisdiktion besitzen, vertrauliche Informationen an die Delegation, wenn es sie gibt, oder an die Regionalkommission über diejenigen Personen schicken, über die sie die Priester befragt haben, bei denen diese Personen gebeichtet haben, und die Laien, bei denen diese die geistliche Leitung in Anspruch nehmen, und das sind normalerweise die Leiter selbst. Brief des Prälaten vom 2. 10. 2011 (Nr. 15) besagt: Im Werk wird die Trennung zwischen Ausübung der Jurisdiktionsgewalt und geistlicher Leitung praktisch unter anderem dadurch sichergestellt, dass diejenigen, die Aussprachen der geistlichen Leitung entgegennehmen − die lokalen Leiter und einige andere, entsprechend vorbereitete Gläubige sowie die Priester bei der Feier des Bußsakraments keinerlei Leitungsgewalt über die betreffenden Personen besitzen. Vielleicht haben diejenigen, die die Aussprache entgegennehmen, keine Jurisdiktionsgewalt, aber sie informieren diejenigen, die sie haben: die Regionalvikare oder die Vikare der Delegationen. Das ist zu verurteilen, und das ist verurteilt worden. Auch wenn man sich der Gedanke abseitig ist, dass die örtlichen Leiter keine Jurisdiktion hätten, es kommt auf dasselbe heraus.
Dass man sich an den „zugewiesenen Laien“ wegen der geistlichen Leitung wendet und an den „zugewiesenen Priester“ um zu beichten, ist nur eine vorbereitende Maßnahme für den Missbrauch des Leitungssystems, der im Opus Dei derzeit üblich ist. Wenn die vom Opus Dei geistliche Leitung oder einen Beichtvater außerhalb des Örtlichen Rates suchen – oder der Personen, die ihnen von diesem zugewiesen wurden - das derzeitige Leitungssystem im OD würde nicht mehr funktionieren. Es wäre nicht mehr zu steuern. Man braucht sich also nicht zu wundern, dass sich das Establishment des Werkes bedroht fühlt und sich wie eine in die Ecke gedrängte Ratte verteidigt. Es geht um nichts weniger als ums eigene Überleben.
Wenn man das System der geistlichen Leitung und der damit kombinierten Leitungsgewalt an ein Gründungscharisma knüpft – wie es offenbar am Anfang geschehen ist – macht man die Lage noch schlimmer, denn jedes Gründungscharisma - Escrivá ist keine Ausnahme – ist dem Urteil des Heiligen Stuhls unterworfen. Und es besteht außerdem die Gefahr, dass sich das angeblich göttliche Charisma als ausdrücklich falsch erweist, weil es sich um ein Fake handelt. Diese Korrumpierung ist vor allem in Frauenorden immer wieder aufgetreten (vgl. Elisabeth de Baudouin: Religiöse Gemeinschaften und Machtmissbrauch vom 30.11.2014), und das zeigt einmal mehr, dass eine eigentlich säkulare Spiritualität im Werk Gottes fehlt. In seinem Beitrag Feliz Quemadmodum! zeigte uns Simplicio ausführlich, was da alles nicht stimmt.
Wurde diese unhaltbare Praxis infolge des Briefs des Prälaten von 2011 korrigiert? Der Numerarier, auf den ich mich vorhin bezogen habe, bewertet die Situation so: Der Brief des Prälaten vom 2-X-11 war eine Verarsche, und die nachträgliche Interpretation versucht diese Hinweise zu umgehen, weil sie die Leitung der Menschen im Werk (nicht des Werkes) schwieriger machen: Für die Leiter hat es sich ausgezahlt, dass sie wie immer funktionieren. Ich denke, dass der Prälat diese Hinweise ganz offensichtlich gezwungenermaßen gegeben hat, in die Pflicht genommen von dem Einzigen, der ihm etwas zu sagen hat. Im Werk spricht man kaum über diesen Brief, und wenn er auf dem Jahreskurs kommentiert wird, so ist dies eine weitere Verarsche, die alle ruhig hinnehmen: Sie gaben keine Erklärung ab, als ob es eine der normalsten Dinge der Welt wäre.
Der zitierte Numerarier weigerte sich persönlich – ich weiß nicht, ob das mehrere versucht haben – seinen Leiter über die Personen zu informieren, die bei ihm die Aussprache gemacht haben und die die geistliche Leitung von ihm erhielten. Man leugnet nicht nur de facto, wie es vielleicht andere machen würden, sondern man sagt es den Leuten ins Gesicht, dass man nicht daran denkt diesen Vorschriften zu folgen. Dieser Leiter musste sich beherrschen, er konnte nur einige kleinere Repressalien gegen ihn durchführen. Allerdings setzen sich die Mitglieder der Delegation nach wie vor mit denen des Örtlichen Rates zusammen, also mit denen, die die Aussprachen hören und die geistliche Leitung durchführen. Anscheinend werden momentan die Informationen eher mündlich als schriftlich übermittelt. Es scheint nicht zu gewagt anzunehmen, dass jemand aus dem Örtlichen Rat entfernt wurde, der nicht bereit war, vollinhaltlich Auskunft zu erteilen.
In dieser Hinsicht hat Junio in ihrem Beitrag vom vergangenen 19. Dezember geschrieben: Die Zentren haben gerade eine Mitteilung erhalten, in der die Leiter darauf hingewiesen werden, dass die Gewissensauskünfte bei den Aufnahmen und die einzelnen Auskünfte, die die Assessorie oder die Delegation über einzelne Personen anfordern, dann eben nicht der Leiter oder die Person macht, die die Aussprache entgegen nimmt. Es muss dies eine „andere Person“ machen, die nicht die Aussprache gehört hat, sodass es nicht im geringsten eine Vermischung des Forum internum mit dem Forum externum geben kann. Auf alle Fälle ist die Information einer vertrauenswürdigen Person zu übermitteln. Die Frage bleibt sonnenklar im Raum stehen, ob ein Beichtvater, der die Aussprache hört, die Quelle für Gewissensauskünfte sein kann. Eine solche Notiz wird das Establishment des Opus Dei wohl nicht spontan ausgegeben haben. Die Leiterinnen - sagt Junio - gehen verstört umher. Das verwundert mich gar nicht. Das ist völlig neu, obwohl es vorherzusehen war.
Das Establishment gibt vor, mit einer solchen Maßnahme seine Praxis nach innen und nach außen zu rechtfertigen - schreibt mir der erwähnte Numerarier -, indem es behauptet, dass sich die Informationen im Zusammenhang mit den Eingliederungen nur auf das „Forum externum bezögen und dass bei den Versammlungen des Örtlichen Rates auch nur über dieses gesprochen werde”. Diese Unterscheidungen zwischen dem „Forum externum“ und dem „Forum internum“ und das „mit“ oder „ohne Jurisdiktion“ ist eine pure Wortklauberei, um eine Nebelwand über dem Problem aufzuziehen. Das Schwerwiegende ist, dass es eben die die Beichtväter und die Geistlichen Leiter sind, die den Vorgesetzten die Informationen liefern. Wenn sie sich nur über das Forum externum informieren, warum befragen sie dann regelmäßig jene Personen, die über das Forum internum jedes einzelnen Bescheid wissen? Die Anmerkung, die Junio uns geschickt hat, trifft genau den wunden Punkt.
So wie ich die Dinge verstehe, gibt es nichts, was von sich aus dem Forum internum oder externum zugeordnet werden kann; es gibt da keine zwei Listen, und auf der einen stehen die Themen für das Forum internum und auf der anderen die Themen für das Forum externum. Wenn jemand Filzläuse hat, ist weder diese Tatsache noch die Frage, wie er dazu gekommen ist, von sich aus dem Forum externum oder dem Forum internum zuzuweisen. Zum Forum internum wäre die Tatsache zu zählen, wenn sie in der Beichte oder in der Aussprache erörtert worden ist. Wenn sie im Rahmen einer ärztlichen Konsultation bekannt geworden wäre, so müsste sie der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Wenn ein Supernumerarier im Lotto gewonnen hat oder seine Tochter Krebs hat, so kann dies eine Materie des Forum externum genauso wie des Forum internum sein, aber auch des Bankgeheimnisses. Sehr bedenklich wäre es, wenn der Leiter seines Zentrums vom Lottogewinn erfährt. Er setzt sich der massiven Gefahr aus damit bedrängt zu werden, es müsse „Gott gegenüber großzügig sein“. Und wer es einmal gewesen ist, muss Gott gegenüber immer großzügig sein, und dann werden sie ihn bitten, auch der Jungfrau Maria gegenüber großzügig zu sein.
Auf dieser Seite findet sich das Zeugnis einer Supernumerarierin, der ihre Leiterinnen für vierzehn Tage zu kommunizieren verboten, weil sie die Untat begangen hat „außer Haus“ zu beichten. Damit sie sich schuldig fühlt! Was für eine Abweichung! In seinem Brief schreibt Echevarría jedoch, ohne rot zu werden: Wie der hl. Josemaría immer ganz klar gesagt hat, (mir scheint es eher, dass der Codex Juris Canonici dies klargestellt hätte), die Gläubigen der Prälatur genießen so wie alle Katholiken die volle Freiheit, mit irgendeinem Priester zu sprechen oder bei ihm zu beichten, sofern er die Amtsbefugnis besitzt Es handelt sich um eine dieser „vollen Freiheiten“, die so typisch für Sanjosemaría sind, denn wenn man sie ausübt, kann das zur Folge haben, wie in dem erwähnten Fall der Supernumerarierin, dass man zwei Wochen lang nicht zur heiligen Kommunion gehen darf. Sanjosemaría hat es nach meinem Dafürhalten eben schlecht erklärt.
Wie uns mitgeteilt wurde, hat laut Msgr. Echevarría der hl. Josemaría es immer klargestellt, dass die Gläubigen der Prälatur bei jedem beliebigen Priester beichten oder mit ihm sprechen können. Nichtsdestoweniger, trotz dieser Klarheit hat eine Leiterin angeordnet, dass ein ihr untergebenes Mitglied, das „auswärts“ gebeichtet hat, zwei Wochen lang nicht zur Kommunion gehen darf. Ein anderes Ergebnis ist es, dass sich ein Numerarier „zuhause“ in der Beichte angeklagt hat, dass er „außerhalb“ gebeichtet hat. Das passt meiner Auffassung alles überhaupt nicht zu dem, was Javier Echevarría gesagt hat - dass Sanjosemaría nicht mit ausreichender Klarheit gesagt hat, dass die Mitglieder des Opus Dei bei jedem beliebigen Priester beichten können, der die Amtsbefugnis besitzt.
Als Summe seines Briefs schließt Msgr. Echevarría mit den Worten, die ich als „heiligen Zynismus“ bezeichnen würde: Es wird euch überraschen, dass ich euch an eine so klare Wahrheit erinnere, aber mir liegt daran sie zu erwähnen, weil sie vielleicht denen weniger bekannt ist, die nichts vom Opus Dei wissen oder vom Geist der Freiheit, der denen eigen ist, die Jesus Christus nachfolgen. Ich widerspreche da wieder einmal Herrn Msgr. Echevarría. „Die nichts vom Opus Dei wissen“, sind genau die, die wissen, dass man bei jedem beliebigen Priester eigener Wahl beichten darf. Mehr noch, sie haben keinen „zugewiesenen Priester“ und schon gar keinen „zugewiesenen Laien“ für die Aussprache. Diejenigen, die keine Ahnung davon haben, dass man sich den Beichtvater und den geistlichen Leiter frei aussuchen darf, sind die Mitglieder des Opus, denn ihnen ist ein „Laie“ und ein „Priester” zugewiesen. Echevarría hatte keine Wahl, als „seine Söhne und Töchter“ schriftlich von dieser angeblichen „Freiheit“ in Kenntnis zu setzen. Wer nicht vom Opus ist, braucht keine dieser Klarstellungen, und noch weniger einen Brief, den Echevarría zu diesem Zweck „an seine Söhne und Töchter“ geschrieben hat.
Beim Lesen mancher Passagen wird sich der eine oder andere Besucher unserer Seite denken: Schließlich hat die Anklage Oráculos (Die Freiheit der Gewissen im Opus Dei) nunmehr endlich Wirkung zu zeigen begonnen. Der Optimismus wäre allerdings verfrüht; man muss sich nur einmal überlegen, wie die „Hierarchie der Normen“ innerhalb des Opus Dei funktioniert. Niemand reagiert auf einen Hinweis, wenn er nicht ständig wiederholt wird: bei den Predigten der Priester, im Kurzen Kreis, in der Aussprache, beim Besuch eines Leiters aus der Delegation, bei den Jahreskursen, bei den Tertulias und bei den übrigen Bildungsmitteln. Was nicht ständig wiederholt wird, existiert so gut wie nicht.
Echevarría beruft sich auf die Autorität des Gründers, wenn er versichert, dass die Gläubigen der Prälatur gleich wie dir übrigen Katholiken sind, sie genießen die volle Freiheit zu beichten und mit jedem beliebigen Priester zu sprechen, der die Amtsbefugnis dazu hat. Aber der Gründer hat auch über die gesagt, die nicht „zuhause beichten“: Begeht er eine Sünde? Nein. Hat er den guten Geist? Nein. Im besten Fall hat man sich in 90% der Fälle nach der Frage Hat er den guten Geist? orientiert und mit Nein beantwortet, und nur in 10% hat man die volle Freiheit bei der Beichte betont. Alles hängt davon ab, ob man auf dem ersten oder auf dem zweite besteht. Alles hängt davon ab, wie es das Establishment auslegt.
So wie ich das sehe, ist der Zweck der Pädagogik, wie sie Echevarría und der Rest des Establishments im Moment anwenden, darauf aus, die derzeitige Praxis zu rechtfertigen bzw. zu vertuschen und zu behaupten, dass die Örtlichen Räte keine Jurisdiktionsgewalt hätten und ähnliches. Man braucht sich nicht zu wundern, dass nun, oh Überraschung, ein Hinweis vom Himmel gefallen ist, durch den verfügt wird, dass weder die Beichtväter noch diejenigen Personen, die die Aussprache hören, Informationen weitergeben.
Warten wir ab, wie die Seifenoper weitergeht.
Gervasio