Gervasio: Noch ein Schwindel

24. September 2010

Von diesem Betrug ist der  Heilige Stuhl ebenso betroffen wie die Mitglieder des Opus Dei. Das hat schon mit der Ersetzung der alten Constitutionen von 1950 durch die Statuten von 1982 begonnen. Seine Normen sollen heilig gehalten werden, unverletzlich und beständig (Nr. 181§ 1). Denen von 1950 geschah dasselbe. Auch sie mussten für heilig, und unverletzlich und ewig gelten (Nr. 172). Diese Adjektive erinnern mich an das Grundgesetz der Nationalen Bewegung aus der Ära Franco. Wenn ich mich recht erinnere, hieß es dort ebenfalls, dass sie unverletzlich, ewig und noch irgendwas seien. Ich glaube mich erinnern zu können, dass sie allerdings nicht heilig waren – wie die erwähnten Konstitutionen und Statuten des OD-, sondern sakrosankt; aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob es genau diese Adjektive waren. Sakrosankt oder nicht, unverletzlich oder nicht, die Normen der aktuellen Statuten des Opus Dei können jederzeit ganz oder teilweise derogiert werden.

Aber kommen wir zur Sache, denn  ich schweife ab. Die teilweise oder völlige Abschaffung der Statuten des Opus Dei steht dem Heiligen Stuhl frei, wie in den Statuten selbst zu lesen ist: einzig dem Heiligen Stuhl stehen Änderungen oder die Einführung neuer Vorschriften zu. (Nr. 181§ 1). Das erwähnte heimtückische Verhalten bezieht sich sowohl auf die Abschaffung bestehender Vorschriften als auch auf die Einführung weiterer neuer.

Die Constitutionen von 1950 enthalten drei große Kapitel über den Gehorsam (Nr. 147-155), die Keuschheit (Nr. 156-160) und die Armut (Nr. 161-170). Der Anfangsartikel dieser Konstitutionen leitet die einzelnen Anordnungen wie folgt ein: Das Ziel des Instituts ist die Heiligung seiner Mitglieder durch die Ausübung der Evangelischen Räte und durch die Beobachtung dieser Konstitutionen. Dieser Satz lässt sich wortwörtlich auf jedes beliebige Institut des geweihten Lebens anwenden. Auch die Orden und Kongregationen haben zum Ziel, „sich durch die Ausübung der Evangelischen Räte im Einklang mit den eigenen Konstitutionen zu heiligen“. Die Paulinerpatres beobachten die evangelischen Räte gemäß ihren Konstitutionen; dasselbe gilt für die Franziskaner gemäß ihrer Spiritualität, und die vom Opus Dei. Die relative Neuheit dessen, was das Opus Dei beigetragen hat, bestand in diesen „evangelischen Räten, die gemäß den eigenen Konstitutionen beobachtet werden“, und die inmitten der Welt gelebt wurden. So entstand 1947 mit Provida Mater Ecclesiae die Gestalt Säkularinstitute, die die Möglichkeit eröffnet, die Evangelischen Räte inmitten der Welt zu leben.

Alles lief gut, solange bis der Gründer des Opus Dei begann seinen Unmut darüber zu zeigen, dass er bloß ein Säkularinstitut unter anderen haben sollte, die nunmehr von der Heiligen Kongregation für die Ordensleute abhängig sein sollten, die sich dann aber Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute nannte. Er wollte kein Teil dieses kirchlichen Kollektivs sein und mit ihnen auch nicht in einen Topf geworfen werden, sondern er wollte ein Teil der ordentlichen Hierarchie der Kirche werden und sich auch so behandelt sehen. Ich erinnere mich an seine Worte:

- Die Ordensleute werden vom Heiligen Stuhl am schlechtesten behandelt. Sie beachten sie nicht. Sie schneiden sie. Sie demütigen sie.

Um guten Wind für einen Wechsel vom Säkularinstitut zu dem gewünschten juridischen Statut zu machen, begann der Gründer zu verkünden, dass es unpassend für das Opus Dei die Evangelischen Räte zu leben. Das Unsere, so sagte er, ist die Ausübung der christlichen Tugenden. Und von daher verfiel er dann auf den Schluss, es könne kein Säkularinstitut sein, sondern müsse sich in nichts Geringeres als in einen Teil der ordentlichen Hierarchie der Kirche verwandeln. Auch wenn die Leute vom OD vorgeben, dass sie die christlichen Tugenden wie alle Christen leben, so unterscheiden sie sich doch von ihnen dadurch, dass sie sie, so wie eben die Orden und Kongregationen, im Einklang mit einigen Statuten und Konstitutionen leben müssen.

In den Statuten von 1982 fehlt jeder Hinweis oder Bezug auf die Evangelischen Räte. Aber er wies weiter darauf hin, dass der Weg, die Heiligkeit zu erreichen, im Befolgen dieser Statuten läge.  In den Constitutiones von 1950 liest man: Das Ziel des Instituts ist die Heiligung seiner Mitglieder durch die Ausübung der  Evangelischen Räte und durch die Beobachtung dieser Konstitutionen (Nr. 1). In den Statuten von 1982 liest man stattdessen: die Prälatur setzt sich die Heiligung seiner Gläubigen durch die Ausübung der christlichen Tugenden zum Ziel, gemäß den Normen des partikulären Rechts (Nr. 1).  Die Evangelischen Räte bleiben nach außen hin durch die christlichen Tugenden ersetzt. Aber dem ist nicht so. Dieses wortreiche Beharren auf den christlichen Tugenden ist nur eine künstliche Nebelwand, um zu verbergen, was dahintersteckt: die Beobachtung der Evangelischen Räte.

Beginnen wir mit dem Gehorsam. Der Canon 601 des Kirchenrechts besagt, dass der Evangelische Rat des Gehorsams, eingegangen mit dem Geist des Glaubens und der Liebe in der Nachfolge Christi, der gehorsam war bis zum Tod, dazu verpflichtet, den eignen Willen den rechtmäßigen Oberen zu unterwerfen, die anstelle Gottes handeln, wenn sie etwas gemäß den eigenen Konstitutionen befehlen. Dasselbe sagt die Nr. 88 § 2 der Statuten von 1982, ohne das Wort Evangelischer Rat zu verwenden: Alle Gläubigen – mit Bezug auf die des Opus Dei – sind verpflichtet, dem Prälaten und den anderen Autoritäten der Prälatur demütig in all den Dingen  zu gehorchen, die zum besonderen Ziel der Prälatur gehören. Und es ist hinzugefügt, dass sie Christus nachahmen, der gehorsam war bis zum Tod.

Wenn die Nachahmung Christi, der gehorsam bis zum Tod war, darin besteht, dass man einigen Oberen laut Statut gehorcht, die von einem Gründer oder einer Gründerin eingesetzt worden sind und die nichts mit der ordentlichen Hierarchie der Kirche zu tun haben, haben wir den Evangelischen Rat des Gehorsams vor uns. Die Macht, die der Prälat, seine Vikare und die übrigen zentralen, regionalen und lokalen Direktorinnen und Direktoren über die Mitglieder des Opus Dei ausüben, leitet sich aus deren besonderer Verpflichtung zum Gehorsam ab, die vom Gründer zu eingerichtet wurde und die die übrigen Katholiken nicht betrifft. Der Gehorsam, der der ordentlichen kirchlichen Hierarchie gebührt, leitet sich nicht aus einigen statutarischen Verpflichtungen ab.

Es ist unmöglich, dass das Opus Dei vorgibt, dass einige Damen und Herren, mögen sie auch sehr fromm sein, durch einen Vertrag in der ordentlichen Hierarchie der Römisch-Katholischen Kirche eine geheimnisvolle hierarchische Organisation mit ihren Direktoren und Direktorinnen bilden können, Vokalen von St. Gabriel und St. Michael, einem Defensor von ich weiß nicht was, mit Örtlichen Leiterinnen, Delegationen und Kommissionen und Quasi-Regionen, ein undurchdringliches und esoterisches Leitungssystem (Vgl. Catecismo del Opus Dei Nr. 10 und 11). All das hat noch dazu den großen Vorteil, dass diese hierarchische Organisation auch über ein eigenes häusliches Service verfügt, eine Tatsache, die man nicht verachten sollte in solchen Zeiten, wo gute Hausangestellte rar sind. Ich glaube, dass Ildebrando Antoniutti nicht nur bei der Errichtung der Universität von Navarra als katholischer Universität mitgeholfen hat – das tat er nachweislich -, sondern -, auch darin, dass er nicht gestorben ist.

Die gewöhnlichen Christen, also diejenigen, die nicht den erwähnten Evangelischen Räten folgen, sind weder verpflichtet, dem Prälaten des Opus Dei zu gehorchen, noch seinen Vikaren, noch auch den übrigen zentralen, regionalen oder lokalen Direktorinnen und Direktoren, noch auch seinen Konstitutionen und Reglamentos. Nur die Mitglieder des Opus Dei sind dazu verpflichtet, ihnen zu gehorchen. Diese Leiter und Leiterinnen sind zwar etwas anderes, aber durchaus etwas Analoges zu den Superioren, denen männliche oder weibliche Dominikaner gehorchen müssen. Diese Oberen des OD sind keine Analogie zum Papst und den Bischöfen.

Die Tatsache, dass man besondere Obere hat, anders als die anderen Christen, betrifft nur diejenigen, die den Evangelischen Rat des Gehorsams zu leben verpflichtet sind zusätzlich zu der Tugend des Gehorsams, die jeder Getaufte leben muss. Die erwähnte Nr. 88 der Statuten besagt, dass man im Opus Dei auch dem Papst und den Bischöfen gehorchen müsse, die in Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl leben. Einen solchen Gehorsam haben sie allerdings auch mit den Paulanerpatres gemeinsam, so wie mit den Mitgliedern des Opus Dei, den Karmelitern und allen anderen Christgläubigen.

In Nr. 139 der Ausgabe des Katechismus des Werkes gibt es nur einen schüchternen Bezug auf die Tugend des Gehorsams, wie ich  nicht einmal alle Katholiken, sondern alle Menschen leben müssen, nämlich gegenüber den zivilen und beruflichen Autoritäten, den eigenen Eltern etc. Aber dort, wo der Katechismus konkret wird, wo er dem Gehorsam sechs Abschnitte widmet, geht es um den Evangelischen Rat des Gehorsams, das heißt, eine Form des Gehorsams, sie nur die Mitglieder des Opus Dei leben können, oder aber diejenigen eines religiösen Ordens. Die Gläubigen des Opus Dei müssen die Hinweise der Leiter mit einer demütigen, intelligenten und verantwortlichen Fügsamkeit annehmen (Katechismus 2010, Nr. 145). Sie müssen die Kräfte der Intelligenz und des Willens für das einsetzen, worauf man sie hinweist,  um alles zu erfüllen, was man ihnen befiehlt, und nur das, was man ihnen befiehlt (Ebd.). Um den Direktoren zu gehorchen, ist es nicht nötig, ihre ausdrückliche Weisung entgegenzunehmen (…) Der stärkste Befehl ist ein Bitte oder eine vergleichbare Phrase (Ebd. Nr. 141). Sie müssen mit äußerster Feinfühligkeit das erfüllen, was das besondere Recht des Werkes vorsieht (Ebd. Nr.139). Der Geist des  Werkes (…) führt sie dazu sich vor Augen zu halten, dass die Direktoren Gott unseren Herrn vertreten (Ebd. Nr. 149). Man muss mit der größten Pünktlichkeit und Sorgfalt die Anregungen, Hinweise und Ratschläge der Leiter des Opus Dei in allem annehmen, was sich auf das innere Leben und auf die apostolische Arbeit bezieht (Ebd. Nr. 139). Etc. Ich schließe, weil es ermüdend wird. Diese Forderungen des Gehorsams beziehen sich nicht auf den eigenen beruflichen Vorgesetzten oder die zivilen Autoritäten, sondern auf die Leiter des Opus Dei.

Das Opus Dei lässt sich nicht dadurch charakterisieren, dass es einen Gehorsam fordern würde, wie er auch die übrigen Christen betrifft; es geht auch nicht um den Gehorsam im weltlichen Beruf, in dem sich die Mitglieder ja angeblich heiligen müssen, sondern es geht einzig und allein um den Gehorsam gegenüber den Oberen des Opus Dei; das heißt aber, es dreht sich alles um eine Form des Gehorsams, wie es dem Evangelischen  Rat des Gehorsams entspricht. Mehr noch, man empfiehlt den Mitgliedern des Opus Dei gegen den gebührenden Gehorsam in der weltlichen Arbeit zu verstoßen, wenn dies den Interessen des Werkes nützt. Die Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Interessen des OD kommen noch vor den beruflichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen der Mitglieder. Dem Beruf die nötige Zeit zu widmen oder auch die übrigen beruflichen Pflichten zu erfüllen, ja sogar andere Pflichten der Gerechtigkeit, bleibt dem untergeordnet, was die Leiter des OD verfügen. Viel wichtiger ist es im Zweifelsfall, dass man an Besinnungstagen teilnimmt oder nach der Messe zehn Minuten der Danksagung hält. Wenn einem ein Superior des OD  und ein anderer Vorgesetzter unterschiedliche Verpflichtungen auferlegen,  gewinnt immer der Obere des OD. Bei jedwedem anderen Interessenskonflikt geschieht das Gleiche.  Es gibt auch keine Skrupel, den Fiskus zu betrügen oder  andere Bürgerpflichten  zu umgehen. Wichtig ist es, dem Prälaten des Opus Dei zu gehorchen, seinen Vikaren und den übrigen Direktoren, wenn es sich um Männer handelt, und den Direktorinnen, wenn es sich um Frauen handelt, und zwar zentralen, regionalen und örtlichen. Das ist wichtig; der Gehorsam eines gewöhnlichen Christen spielt demgegenüber keine Rolle.

Innerhalb des Opus Dei – so sagt der Katechismus von 2003, Nr. 142 – muss man dem Prälaten und seinen Vikaren gehorchen und, sofern sie mit ihnen zusammenarbeiten, den übrigen Zentralen, Regionalen und Örtlichen Direktoren und Direktorinnen. Der Katechismus lehrt uns nicht außerhalb, sondern nur innerhalb des Opus Dei zu gehorchen. Nach innen wird gehorcht; nach außen nicht, und manchmal muss man da auch ausdrücklich ungehorsam sein. Die gewöhnlichen Christen leben die Tugend des Gehorsams außerhalb des Opus Dei. Kurz gesagt, das Opus Dei lehrt nicht die Tugend des Gehorsams, sondern den Evangelischen Rat des Gehorsams.

Von den Mitgliedern des Opus Dei verlangt man außerdem, dass sie so tun, als kämen ihre Entscheidungen von ihnen selbst, obwohl sie von den Oberen getroffen wurden. Man verlangt von ihnen „wie gewöhnliche Christen“ aufzutreten; nicht nur gegenüber der Gesellschaft und der Öffentlichen Meinung, sondern sogar gegenüber dem Heiligen Stuhl. Soweit es geht sollen die Mitglieder des Opus Dei verschweigen, dass die Mehrzahl ihrer Entscheidungen aufgrund des Gehorsams gegenüber Befehlen und „Anregungen“ ihrer Vorgesetzten erfolgen. Warum muss man vor seinen Kollegen geheim halten, dass das eigene Leben ein Geflecht von Befehlen, Erlaubnissen, Dispensen und Ratschlägen ist? Kann der Grund dafür darin liegen, dass die zwar „gleich“ sind, aber nicht „das Gleiche“ machen, dass sie also doch anders sind?

Gehen wir zum Evangelischen Rat der Keuschheit. In diesem Fall sind die Anforderungen an die übrigen Katholiken gleich wie die an die Mitglieder des Opus Dei. Ich erinnere mich, wie ein  Freund, der mit mir die Sonntagsmesse besuchte, sagte:

- Ich verstehe dieses Gelübde der Keuschheit  nicht. Es ist so wie wenn man ein Gelübde ablegt, keinen Mord zu begehen. Ein Katholik ist doch ohnehin bereits verpflichtet, keusch zu leben und keinen Mord zu begehen.

Aber zum Evangelischen Rat der Keuschheit kommt noch die Verpflichtung hinzu, im Zölibat zu leben. Eine solche Verpflichtung haben nur Ordensleute übernommen, oder aber die Numerarier und Assoziierten. Diese Verpflichtung kann von einem Gelübde abgeleitet werden, wie es bei den Ordensleuten der Fall ist, oder auch nicht von einem Gelübde, wie es bei den Mitgliedern des Opus Dei der Fall ist. Aber wie sagte nicht ein Dichter: Gelübde oder nicht, es ist die gleiche Pflicht. Mit den Verboten verhält es sich ähnlich. Der Codex des Kirchenrecht nennt diese Nicht-Gelübde andere heilige Bande, und aus dem Adjektiv „heilig“ geht hervor, dass es sich um einen Zölibat handelt, der aus übernatürlichen Motiven gelebt wird.

Aber schweifen wir nicht ab, Ich will mich nun um den Evangelischen Rat der Armut kümmern. Der Canon 600 charakterisiert den Evangelischen Rat der Armut dadurch, dass er sagt, er bringe die Abhängigkeit und die Einschränkung im Gebrauch und in der Verfügung über die Güter mit sich, im Einklang mit den Rechtsnormen jeder Institution. Das verweist auf die Statuten. Nach dem Evangelischen Rat der Armut gibt es nicht nur eine einfache Tugend – für sich genommen ist die Armut ebenso wenig eine Tugend wie der Zölibat -, sondern eine ganze Reihe von Tugenden - der Nüchternheit, der Loslösung vom eigenen Besitz, dem rechten Umgang mit den Dingen, dem Gerechtigkeitsgefühl etc.- in Bezug auf die irdischen Güter und das Geld. Für den Rat des Gehorsams fehlen einige statutarische Bestimmungen zur Einsetzung von Oberen, denn sonst gäbe es niemanden, dem man gehorchen sollte. Ebenso fehlt eine Regelung zum Gebrauch des Eigentums an den irdischen Gütern von Seiten derer, die sich dazu verpflichten.

In den Statuten von 1982 wird der evangelische Rat der Armut nicht erwähnt. Es wird ausgiebig über die Tugend der Armut gesprochen: Die Gläubigen der Prälatur sollen im Herzen völlig frei von den zeitlichen Dingen leben, jeder einzelne nach seinem Stand und seiner Stellung, indem der Geist sich frei hält von den Dingen, die sie benutzen; sie sollen sich in ihrem persönlichen und gesellschaftlichen Leben immer nüchtern nach dem Geist und der Lebensweise des Opus Dei geben; sie sollen alle Sorgen um die Dinge dieser Welt auf den Herrn werfen und in dieser Welt wie Fremde verweilen, die die zukünftige Stadt suchen, indem sie Gott die gesamte Sorge um die Dinge dieser Welt überlassen; und so werden sie wie Pilger leben, die die zukünftige Heimstätte finden. Indem sie ihre gewöhnliche berufliche Arbeit mit der Gesinnung und dem Herzen des Vaters einer armen, aber kinderreichen Familie verrichten, haben alle Gläubigen der Prälatur die Pflicht, für ihre eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse und die ihrer Familie vorzusorgen, und soweit es ihnen möglich ist, auch das Apostolat der Prälatur zu unterstützen, indem sie dem geistlichen und materiellen Bedürfnis vieler Menschen Abhilfe schaffen. (Statuten Nr. 94). 

In diesem Nachtrag, dass man sein Geld dem OD abgeben soll, zeigt sich schon die Armut als Evangelischer Rat. Und es beginnen Hinweise in den Statuten über den Gebrach der eigenen Güter. Jeder Christ ist verpflichtet, die Kirche wirtschaftlich zu unterstützen, zur Erhaltung von Kult und Klerus beizutragen. Aber es gibt keine allgemeine Verpflichtung für alle Christen, das OD wirtschaftlich zu unterstützen. Es gibt Menschen, die die Tugend der Armut vorbildlich leben, ohne ihr Geld dem OD zu geben.

Hier ersetzt der Katechismus, ebenso wie andere interne Dokumente und Normen, ganz explizit die Tugend der Armut durch den Evangelischen Rat der Armut. Die Statuten von 1982 sind nicht mehr die Grundlage dafür, dass die Numerarier und Assoziierten die Verpflichtung haben, ihr ganzes Geld dem Opus Dei zu überlassen, so wie der Canon 668§ 3 des CIC für die Ordensleute vorsieht: Was ein Ordensangehöriger durch eigenen Einsatz oder im Hinblick auf das Institut erwirbt, erwirbt er für das Institut. Angesichts einer solchen Situation hat der Prälat einige geheime Dekrete erlassen, die nicht im Amtsblatt der Prälatur veröffentlicht sind, und er hat gegenüber den Heiligen Stuhl verheimlicht, dass er illegalerweise den Inhalt der Statuten erweitert hat. Was die Statuten besagen und was der Heilige Stuhl approbiert hat, war einfach: ihre persönlichen und familiären Notwendigkeiten damit bedienen, und in dem Maße, in dem es ihnen möglich ist, die Apostolate der Prälatur zu unterstützen. Über diese Dekrete besitze ich nur vage Informationen. Ich wäre dankbar, wenn einer meiner Leser mit entsprechende Daten oder die Dokumente liefern könnte.

Der Katechismus des Werkes von 2010 widmet Nr. 159 - 170 der Armut, indem er, ich weiß nicht auf welcher Grundlage, den evangelischen Rat der Armut wieder einführt, der aus den Statuten von 1982 verschwunden ist. Es wird nicht nur verlangt, so wie es in den Statuten heißt, dass sich die Mitglieder von ganzem Herzen von den Gütern lösen, indem sie die Sorgen dieser Welt in die Hände Gottes legen. Die Numerarier und Assoziierten – so sagt der Katechismus – verwenden alle ihre Einkünfte aus der beruflichen Arbeit, um für ihre Bedürfnisse aufzukommen und sich am wirtschaftlichen Aufkommen für die Apostolate der Prälatur zu beteiligen (Ebda. Nr. 160). Umgekehrt sprechen die Statuten davon, dass sie ihre persönlichen und familiären Notwendigkeiten damit bedienen, und in dem Maße, in dem es ihnen möglich ist, die Apostolate der Prälatur zu unterstützen.  Man greift also letztlich auf  Canon 668 zurück: § 3. Was ein Ordensangehöriger durch eigenen Einsatz oder im Hinblick auf das Institut erwirbt, erwirbt er für das Institut. Denn es ist nicht so, dass die Numerarier und Assoziierten der Prälatur abliefern, was sie können, nachdem sie, wie die Supernumerarier, ihre persönlichen Bedürfnisse befriedigt haben, sondern sie geben bis zum letzten Cent alles ab. Sie müssen die ordentlichen Ausgaben abrechnen (Vgl. ebda. Nr. 166) und Außerdem, wie es in einer Familie üblich ist, werden sie bei größeren Ausgaben vorher den Örtlichen Leiter um Rat fragen (Ebda. Ne.166). In welcher Familie fragt man bei größeren Ausgaben den Örtlichen Leiter um Rat? In welchen Familien gibt es Örtliche Leiter? Nur in Ordensfamilien.

Die Nr. 162 des Katechismus legt fest: Die Numerarier und die Assoziierten übertragen, bevor sie die Oblation machen, freiwillige die Verwaltung ihrer Güter, die nicht aus ihrer beruflichen Arbeit stammen nach ihrem Usus und Ususfructus. Woher kommt diese Vorschrift? Es genügt, Canon 668 § 1 zu lesen, um zu verstehen, dass dies dem Recht der Ordensleute entspricht. Vor der ersten Profess werden die Mitglieder die Verwaltung ihrer Güter überlassen, wem sie wollen, und wenn die Konstitutionen nichts anderes bestimmen, werden sie frei über Usus und Ususfructus verfügen. Diese Nr. 162 des Katechismus erlegt den Mitgliedern ebenfalls die Verpflichtung auf, vor der Fidelitas ein Testament zu machen, so wie die Ordensleute vor Ablegung der Ewigen Gelübde testieren müssen, wie es derselbe Canon 668 vorsieht.

Wir sind betrogen worden; zumindest ich fühle mich betrogen. Man sagte uns, dass der Gründer widerstrebend einige Passagen über die Evangelischen Räte und die Gelübde akzeptieren musste, um die Approbation des Werks als Säkularinstituts zu erhalten. Aber dann erfuhr man, dass es bei den Säkularinstituten die Möglichkeiten gab oder gibt, zwischen Gelübden oder anderen Bindungen zu entscheiden. Der Gründer entschied sich für das erste. Die Gelübde wurden ihm nicht aufgezwungen. Er musste seine Komödie spielen, dass die Gelübde und die evangelischen Räte nicht zu uns passen. Die Wahrheit ist, dass uns das OD zwingt, diese Räte zu beobachten. Weit entfernt davon, dass die kirchlichen Autoritäten die evangelischen Räte aufgezwungen hätten, werden nur innerhalb des OD aufgezwungen, entgegen den kirchlichen Autoritäten. Angeblich wurden sie aus den Statuten von 1982 entfernt; sie sind aber nach wie vor darin enthalten.

Wie E.B.E. in Die Klausur im Charisma des Opus Dei und in Die Phobie vor den Ordensleuten gezeigt hat, scheint das Charisma des Gründers des Opus Dei darin zu bestehen, dass wir uns in allem wie Ordensleute benehmen, aber ohne so zu wirken, ja ohne dass wir selbst uns dessen bewusst wären. Das weiß nicht einmal der Heilige Stuhl selbst. Man muss immer abstreiten, dass wir (wie) Ordensleute sind. Diese psychologische Situation erinnert mich an diejenigen Homosexuellen, die nicht nur leugnen es zu sein, sondern die das auch selbst glauben und davon überzeugt sind.

Die Statuten von 1982 verheimlichen, dass wir die evangelischen Räte leben. Aber die ergänzenden Bestimmungen schaffen in Wirklichkeit diese Statuten heimlich ab. Sie führen die evangelischen Räte wieder ein. Um die Stellung als Personalprälatur zu erhalten, musste man sie verheimlichen und einige Statuten ad hoc vorlegen.

Das Grundproblem, der gordische Knoten, scheint mir folgendes zu sein. Aber wenn sie Teil der ordentlichen Hierarchie der Kirche sein wollen, können sie nicht diese besonderes Superioren haben, denen gegenüber sie den evangelischen Rat des Gehorsams leben, umso mehr, als sie versichern, dass sie dem Papst gaaanz gehorsam sind, dessen Autorität sie sogar bestärken, indem sie sich dem Nachfolger des Petrus unterwerfen. Der Canon 705 sagt es messerscharf: Ein Mönch, der in den Stand eines Bischofs erhoben wird, bleibt Mitglied seines Instituts, aber durch das Gehorsamsgelübde unterwirft er sich ausdrücklich dem Papst und er verpflichtet sich dadurch nicht in einer Weise, die mit seinem Stand unvereinbar sind. Teil der kirchlichen Hierarchie zu sein, ist nicht einmal mit dem Gebrauch der irdischen Güter nach den Konstitutionen oder Statuten eines heiligen Gründers vereinbar. Damit hat es sich. Der Canon 706 setzt den Evangelischen Rat der Armut für denjenigen außer Kraft, der zum Bischof erhoben wurde. Der Bischof wird wieder in Usus, Ususfructus du in die Verwaltung der Güter, die er besessen hat, eingewiesen, etc. Wenn man die Tugend der Armut ausüben will, kann man das tun; aber ohne dabei irgendwelchen Statuten zu folgen. An der Keuschheit ändert das logischerweise nichts.

Die gewöhnliche Hierarchie der Kirche kann nicht durch eine statutarische Hierarchie aufgehoben werden, die durch einen Gründer oder eine Gründerin erdacht wurde, wie heilig sie auch sein mochten… Gründer spricht man heilig, das ist nun einmal so.

Die Katholiken, und zwar alle, müssen die christlichen Tugenden leben. Aber deren Ausübung verwandelt sie noch nicht in Mitglieder des OD. Die vom OD sind nicht aufgrund eines neuen Titels, habe er Vertragscharakter oder einen anderen, dazu verpflichtet, diese christlichen Tugenden auszuüben, sondern sie verpflichten sich dazu, sie auf eine bestimmte Weise auszuüben, nämlich so, wie es die Statuten vorsehen. Diese Stauten kreieren einige merkwürdige Arten, die christlichen Tugenden zu leben; vor allem im Zusammenhang mit dem Gehorsam, der Armut, der Keuschheit und vielen anderen Dingen.

Die Personalprälaturen, auf die sich heute die Canones 294-297 beziehen, sind als Ergänzung der kirchlichen Hierarchie gedacht, etwa nach Art der die Bischofskonferenzen und anderer interdiözesaner Einrichtungen. Wie in dem Fall derer, die zum Bischofsamt erhoben werden – bei diesen diözesanen Strukturen erübrigt sich eine Organisation, die auf den Weisungen von Oberen beruht, die von einem heiligen Gründer erfunden worden sind, mit einem Vokal von St. Michael, einem Sekretär oder einer Sekretärin, deren Gewalt daher rührt, dass so und so viele fromme Männer und ebenso viele fromme Frauen asketische Verpflichtungen eingegangen sind, die anscheinend keine Gelübde sind, in Übereinstimmung mit einigen unsicheren Statuten, die geheimnisvollen Veränderungen und Ergänzungen unterworfen sind.

Gervasio