Die Phobie vor den Ordensleuten


E.B.E. - 6. September 2010

 

Ablehnung und Negation

Es ist interessant zu sehen, wie im Opus Dei alles, was in irgendeiner Weise mit dem Ordensleben zu tun hat, derart kategorisch abgelehnt wird, und man muss bedingungslos und unhinterfragt glauben, dass die Mitglieder des Opus Dei niemals wie Ordensleute leben können, sondern nur als Laien. Dass diese Lebensform so rundweg abgelehnt wird, scheint anzudeuten, dass sich Escrivá nicht der Gründung eines laikalen Opus Dei gewidmet hat – das wäre eine Herausforderung gewesen – sondern dass er prinzipiell das Ordensleben abgelehnt hat, und zwar auf zwei Weisen.

Erstens einmal hat er sich bei verschiedenen Traditionen etwas abgeschaut, ohne verraten zu wollen wo, und sie zu einer neuen Institution, dem Opus Dei verquickt, mit Menschen, die nach der Art von Ordensleuten leben; zweitens verbot er den Mitgliedern des Opus Dei jeden Kontakt mit den Formen des geweihten Lebens, damit sie nicht herausfinden konnten, woher die Eigenarten ihrer Lebensform stammten. Es ist schon auffällig, wenn Laien die Zeremonien der Eingliederung (Oblation und Fidelitas) aus Gehorsam ablegen, denn sie wissen nicht was sie sagen (es ist auf Lateinisch) , und sie kennen die juridische Bedeutung nicht, denn Oblation und Fidelitas entsprechen völlig der zeitlichen bzw. der ewigen Profess. Zum Glück hat aber niemand von ihnen Ahnung vom Ordensleben. Diese doppelte Ablehnung der Religiosen könnte der Angelpunkt sein, um die Konstruktion des Opus Dei zu verstehen.

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Neben der Leugnung scheint auch eine gewisse Ablehnung all dessen vorhanden zu sein, was irgendwie mit der Welt der Religiosen zu tun hat. Denn Escrivá weist sie ab, als ob sie verseucht wären und als ob alles, was mit ihnen zu tun hat, mit einer großen Gefahr für die Mitglieder des Opus Dei verbunden wäre.

Die Abneigung des Opus Dei gegen alles Klösterliche ist nicht nur rein begrifflich, theoretisch, epistemologisch. So hat Escrivá beispielsweise niemals die Negation aufgeworfen „wir sind keine Sekte“, was er ja durchaus hätte tun können, aber diese Negation wäre vollkommen kontraproduktiv gewesen und hätte der Überlegung Raum gegeben, warum man etwas abstreitet, was einem niemand vorgeworfen hat, und sie wäre von sich aus verdächtig, denn  sie wäre Ausdruck eines schlechten Gewissens.

Man könnte aber im Gegenteil sagen, dass das Opus Dei in Opposition gegen die Welt der Orden entstanden ist. und zwar zugleich so aggressiv und so defensiv, als müsste es demk Vorwurf zuvorkommen, es handle sich bei ihnen um Ordensleute.

Das Problem ist aber nicht der potentielle Vorwurf, sondern die Tatsache, dass seine Laikalität substanzlos ist. Die Laikalität  des Opus Dei ist voller theoretischer Leugnungen des Ordensstandes, dessen Praktiken von ihm herrühren. Darin liegt das Problem.

Da Escrivá von Anfang an den Laien eine ganze Reihe von typischen Praktiken aus dem Ordensleben aufgepfropft hat, musste er dem Vorwurf zuvorkommen und diese Verbindung rundweg leugnen. Sein Schrei der Ablehnung musste von Anfang an lauter als das Gestotter der Laien sein, die so einen aggressiven und traumatisierenden Eingriff in ihr Leben hinnehmen mussten.

Es gibt noch einen dritten Effekt. Wenn man diese Leugnung glaubhaft vermittelt, könnte man auch suggerieren: „Wenn wir keine Mönche sind, sind wir notwendigerweise Laien“.

Deshalb liegt auch in der Art, in der Escrivá die ganze Welt der Ordensleute ablehnt, eine gewisse Intoleranz, als würde diese Lebensform die Gesundheit der Seele beeinträchtigen. Es ist eine Welt, der man sich nicht annähern darf und für die man sich nicht zu interessieren hat – ein ähnliches Tabu wie das andere Geschlecht für die Zölibatären. Sich dort verstricken würde bedeuten, die eigene Berufung, die eigene Keuschheit in Gefahr zu bringen.

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Außerdem geht es aber um Konkurrenzdenken und wer den Vorrang eingeräumt bekommt, denn das Opus Dei ist angetreten, um die Lehre zu berichtigen – als ob es sich um eine Häresie handelte, deren Vertreter die Ordensleute waren: Wenn sie vorher ein Monopol auf die Heiligkeit hatten, so kam nun Escrivá mit seinem säkularen Kreuzzug, um zu verkünden: „Um heilig zu werden muss man nicht notwendigerweise ins Kloster gehen ”. Escrivá warf seine Fragestellung wie eine Konfrontation gegen die Ordensleute auf, weswegen er später auch sagte „wir lieben die Ordensleute sehr“. Im Mund Escrivás wurden die Ordensleute zu Häretikern, die mit ihrer Lehre von der Heiligkeit die Welt vergiftet haben. Escrivá ist gekommen, um die katholische Welt von dieser Verwirrung zu erlösen.

Es bleibt hinzuzufügen, dass die Verfolgungen, die das Opus Dei angeblich im Lauf seiner Geschichte erlitten habe, zum Großteil Ordensleuten, oder besser gesagt, bestimmten Ordensleuten“ zugeschrieben werden.

Wem ist es im Opus Dei untergekommen, dass sich jemand gefragt hat, ob es nicht ein Verhältnis zwischen den Ordensleuten und dem Opus Dei gäbe? Mit seiner völligen Ablehnung der Orden hat Escrivá eine erstaunliche Beharrlichkeit bewiesen.

Aber alle, die ihm folgten, hat Escrivá in eine Sackgasse geführt. Denn das Opus Dei war keine Öffnung in eine Welt, die nach der Art von Laien zu heiligen wäre (anders als die Ordensleute, die angeblich vorher das Monopol darüber hatten), sondern in eine Situation ohne Ausweg. Hatten sich vorher angeblich die Laien als solche angeblich nicht heiligen können, so fanden sich die Mehrzahl der zölibatären Mitglieder schließlich außerhalb des Opus Dei wieder, in einem viel schlimmeren spirituellen und psychologischen Zustand. Es ist kaum zu übersehen, wie Escrivá machiavellistische Manöver ausführte, mit einer großen Geschicklichkeit, um sein Opus Dei zu konstruieren. Wie schwer ist es da, ihm noch guten Gewissens zu folgen.

Die Phobie, die er gegen die Ordensleute säte, hat seinen Zwecken genützt; er hat die frei werdende Energie verwendet, um sein Opus Dei aufzubauen. Diese Leugnung könnte man als den Grundstein des Opus Dei ansehen.

Die Ordensleute beiseitezuschieben war für Escrivá äußerst hilfreich: Er konnte die Spuren verwischen, woher er seine Ideen und Traditionen hatte, und er gewann zugleich die Laien für sich. Ein Trick, den man beim Billard Karambolage nennt. Die zwei Kugel fahren auf einen Schlag auseinander, und wir haben es erreicht: monastische Praktiken und eine laikale Überzeugung; so schafft man etwas völlig Inkohärentes wie das Opus Dei. Es wäre völlig unangebracht gewesen zu denken, dass Escrivá lügt, undenkbar innerhalb des  Opus Dei. Solche Fragen konnte man erst stellen, wenn man erst einmal draußen war. Wer sich das drinnen fragt, hat schon begonnen zu gehen.

Lüge und Betrug

Bevor wir fortsetzen, möchte ich kurz abschweifen und den Unterschied zwischen Lüge und Betrug feststellen. Er hilft uns die Phobie des Opus Dei vor den Ordensleuten zu verstehen. Der Betrug besteht nicht nur in der Lüge, jeden Ursprung aus dem Ordensleben abzustreiten, sondern vor allem in der Hartnäckigkeit, mit der all das abgestritten wird. Man könnte sagen, diese Hartnäckigkeit ist eine Lüge in sich. Der Betrug, etwas glauben zu machen, ist schlimmer als die Lüge, eine falsche Information zu geben. Die Lüge ist punktuell; sie kann schlimme Folgen haben, aber nur für den Moment. Der Betrug hingegen hat langfristige Folgen. Die Lüge ist es einfaches: „Wir haben nichts mit den Ordensleuten zu tun“. Die Lüge hat, wie man sagt, kurze Beine; der Betrug kann sich über Jahrzehnte halten. Der Betrug ist die Erfindung einer Wahrheit, die auf falschen Voraussetzungen beruht, und das ist schlimmer. Sie lässt uns glauben, dass wir „Laien sind“. Der Betrug begründet eine Lehre. Deshalb wäre ein Kirchenlehrer Escrivá schlimmer als seine Heiligsprechung, wie mir ein hoher Geistlicher versicherte.

Die Lügen sind die Ziegel, der Betrug ist die Burg.

Eine solche falsche Wahrheit, die sich einmal etabliert, ist auch nicht leicht; man kann sich kaum vorstellen, dass etwa eine Heiligsprechung zurückgenommen wird. Deshalb glaube ich, dass Escrivá ein Meister im Betrug war. Denn war er erzeugt hat, war mehr als eine Wahrheit, es war ein Glaube.

Eine wissenschaftliche Wahrheit entsteht aus dem Vergleich; und sie scheut keine weiteren Überprüfungen; der Glaube hingegen ist ein Vertrauensvorschuss, dass etwas wahr sei, bis zum Erweis des Gegenteils. In vielen Fällen können bis zu einem solchen Erweis des Gegen­teils viele Jahre vergehen oder es kann niemals der Beweis erbracht werden. Davon profitieren die Betrüger, denn sie schaffen eine Glaubwürdigkeit, der niemals widersprochen wird, und solange sie das erreichen, passiert ihnen nichts.

Das Problem besteht darin, dass in den Jahren oder Jahrzehnten, bis eine solcher Betrug auffliegt, viele Lebensentscheidungen auf einer  falschen Grundlage getroffen werden. Wenn man, nach vielen Jahren, in denen viel investiert und verloren wurde – Gefühle, Lebensenergie, wirtschaftliche Ressourcen, auch Frömmigkeit, weil man den katholischen Glauben im Opus Dei vermutet hat – ist der Widerstand, die Wahrheit zu akzeptieren, wenn sie denn einmal zutage tritt, vollständig. Man sieht es bei den Legionären: Sie können nicht glauben, was über ihren Gründer gesagt wird, denn die Wahrheit scheint alles wertlos zu machen, was sie sich zurechtgelegt haben. Wenn es darauf ankommt, ziehen sie ihre Lüge der Wahrheit vor.

Darauf baute Escrivá auf, und deshalb ist der Schaden, den er hervorrief, sehr groß. Was in diesen Jahrzehnten an verschiedenen Schlüsselpositionen der Kirche anscheinend nicht funktioniert hat, ist, dass man mit dem Maßstab der Glaubwürdigkeit und nicht der Wahrheit gemessen hat. Man denke an das Thea der Pädophilie, an Maciel, an Escrivá etc. Und ich denke, dass die Kirche im Licht dieser Erfahrungen ihre Kriterien der Evaluation von jetzt an ändern wird. Alles deutet jedenfalls darauf hin, dass Benedikt XVI. die Wahrheit mehr liebt als die Glaubwürdigkeit.

Eine geschlossene Welt

Das Opus Dei funktioniert in dem Maß, wie es einen geschlossenen Bereich darstellt; abgeschlossen aber nicht nur gegenüber der Welt, denn in diesem Fall wäre die Isolation offenkundig. Um den Zugang zur Welt zu sperren, ohne dass man es merkt, muss man von der falschen Seite kommen. Es gibt auf der einen Seite die Ermutigung, in die Welt hinauszugehen, und man erschwert es den Interessenten andererseits, diese Vorsätze in die Praxis umzusetzen. Es ist eine neurotische Situation; zugleich wird an den Idealismus appelliert und werden Ängste geschürt.

Die Vorgangsweise, mit Auflagen das freie Handeln nicht nur einzuschränken, sondern geradezu zu blockieren (die zu Beklemmungen führt), hemmt und verpflichtet zu einer Form der Sklaverei. Es gibt nicht nur keinen Fortschritt, sondern ein Fiasko; die religiöse Disziplin, die gewohnheitsmäßig manipuliert wurde, kann ein psychologisches Druckmittel von höchster Effizienz sein, wenn es darum geht die Gewissen zu versklaven. Während die Welt offen vor mir liegt, hält mich ein verborgener Mechanismus fest, mich auf sie einzulassen.

Während ich die Welt sehe, hängen meine Füße an Ketten und Gewichten, den ausgearbeite­ten Verpflichtungen, den verschiedenen Statuten und Gewohnheiten. Spontanes Handeln wird verunmöglicht, ein kalkulierbares Vorgehen der Mitglieder wird mit allen Mitteln gefördert. In diesem Umfeld ist es nun nicht unmöglich zu denken, man könne die Welt heiligen und sie von der Sünde befreien (Idealismus); man macht nur die einschränkende Erfahrung, dass man all dies nicht in die Praxis umsetzen kann. Wir müssten uns von diesen Ketten befreien, aber wir merken gar nicht, dass wir festhängen. Wie viele Neurosen, wie viel Kummer hat darin seine Ursache! Viele halten ihr Scheitern für eine Folge des eigenen Ungenügens, einer Willensschwäche, und entwickeln Schuldgefühle. Und je mehr man sich anstrengt, um so schlimmer wird alles.

Da dieser Mechanismus, der uns zurückgehalten hat, abgestritten wird („wir werden niemals Ordensleute sein“), scheint es unmöglich, aus dieser vertrackten Situation herauszukommen, denn es fehlt uns eine zentrale Information. Die Welt ist zum Greifen nahe, aber ich verkomme auf einem Terrain, mit dem ich nicht klarkomme. Escrivá streitet an, dass wir Ordensleute sind, versperrt die Klosterpforte und zieht den Schlüssel ab.

Die Öffnung

Escrivá dachte, dass er mit der Abgrenzung von den Ordensleuten schon den abgeschlossenen Zirkel geschaffen habe, indem sich seine neue Institution entfalten könnte, auch wenn das paradox anmuten mag. Denn für die Assoziierten und Numerarier bedeutet die Abgrenzung von den Ordensleuten zugleich die Abgrenzung nach draußen. Denn unsere Ebenbilder, mit denen wir uns hätten identifizieren können, waren die Ordensleute, nicht die Laien.

Es ist kein Zufall, dass die Studienzentren in eine „interne“ und in eine „externe Zone“ geteilt sind, denn sie spiegelt das Leben in der Institution Opus Dei wider. Nach innen eine geschlossene Welt, außen steht die Welt offen. Beide Sphären sind streng voneinander geschieden, und das nicht nur physisch: Vor allem im Gewissen des Einzelnen steht die Sphäre des Laien unverbunden mit der religiösen Welt im Inneren. Diese Spaltung existiert nicht wegen der anderen (das war Escrivás Entschuldigung), sondern unseretwegen.

Das Doppelleben („interne“ und „externe Zone“) zeigt den Laien ad-extra und den Religiosen ad-intra, denn den Laien gegenüber handeln wir wie Laien, wenn wir aber erst einmal drinnen sind, handeln wir wie Ordensleute, ohne es zu wissen. Wir haben uns aber niemals darüber Rechenschaft gegeben; wir haben uns niemals überlegt, dass wir ab einem bestimmten Moment aufhören Laien zu sein. Wir dachten, dass wir laikalen als die anderen Laien seien, vielleicht auch päpstliche als der Papst – weil wir diese, ganz besondere, Berufung zum Opus Dei empfangen hatten. Wie hätten wir aus diesem Labyrinth in unserem Inneren ausbrechen sollen? Wir akzeptierten dieses Doppelleben unter dem Titel eines Intimität des Familien­lebens, die vor der Welt draußen zu bewahren sei, eine betrügerische Art und Weise, die doppelte Existenz eines Laien im Konvent zu vertuschen.

Und damit das Opus Dei diese Realität der Ordensleute niemals kennen lernen könnte, impfte  Escrivá vor allem den zölibatären Mitgliedern eine Art Phobie gegen jede Form von Ordens­leben ein. Die Welt könnte die Abgeschlossenheit, in der das Opus Dei lebt, bedrohen; aber es genügte oft die Schrauben des Ordenslebens anzuziehen und eine größere Hingabe zu verlangen oder, in extremen Fällen, eine Ausgangssperre zu verhängen.

Diese Abschottung wäre aber von dem Tag an ernsthaft gefährdet, an dem das Opus Dei seinen Mitgliedern Kenntnisse der Welt der Ordensleute gestatten würde. Tatsächlich hat das Opus Dei Jahrzehnte inmitten der Welt überdauert, ohne seine Isolation aufzugeben  (denken wir daran, mit welchem Erfolg sich das Opus Dei in den 60er und 70er Jahren, nach dem Konzil, weiter abgeschlossen hat). Denn in der Welt werden die Mitglieder del Opus Dei nicht leicht den Schlüssel finden, der ihnen die Augen zu Realität erschließt. Die Welt könnte ihnen Versuchungen, aber keine Erklärung bieten. Die Welt weiß nichts vom Leben der Ordensleute. Deshalb braucht das Opus Dei weder die Versuchungen noch die Welt zu fürchten.

Das Opus Dei zu verlassen ist nur ein Anfang. Denn wenn  jemand in die Welt hinausgeht und die Erklärung für das sucht, was er erlebt hat, wird er es nicht finden. Im Gegenteil, man wird  nicht einmal seine Frage verstehen.  Um Antworten zu finden, muss man sich wieder an das Opus Dei wenden, aber von einer anderen  Perspektive aus, nicht nur kritisch, sondern heuristisch. Es ist eine archäologische Arbeit, innerhalb des Opus Dei die verleugnete und unterdrückte Welt des Ordenslebens zu entdecken.

Es war erst der Kontakt mit dieser Webseite, der mich die Drohungen des Opus Dei aushalten und die Öffnung dieser geschlossenen Welt bewirken ließ, denn hier erkennen aktive und ehemalige Mitglieder den scharfen Kontrast zwischen dem, was sie sind/waren und was sie glaubten zu sein. Zum ersten Mal konnten tausende Menschen mit anderen kommunizieren, ie das gleiche erlebt hatten. Wie vor kurzem jemand festgestellt hat, meint das Opus Dei immer das genaue Gegenteil von dem, was es verkündet. Diese These lässt sich problemlos auf die behauptete Säkularität und auf die monastische Lebensweise der Mitglieder anwenden.

Die Herausforderung des Opus Dei

Worin bestand die Herausforderung des Opus Dei? Dass die Verpflichtung zur Heiligkeit, die die Ordensleute durch ein sakrales Band eingehen, auch durch Laien mittels eines Vertragsbandes gelebt werden könne. Was setzt das voraus? Dass eine Berufung existiert und die Zuversicht, dass man diese Berufung leben könne.

Die Geschichte zeigt, dass die Bindung an eine solche Berufung ohne ein sakrales Band und die Zugehörigkeit zu einer Organisation mit strikten Normen für gewöhnlich von nur kurzer Dauer ist. Wenn es keine Instanz von Seiten einer Institution gibt, die genügend Kraft anwendet, verflüchtigen sich die Bestrebungen  nach Heiligkeit in kurzer Zeit. Das Opus Dei kam, um sich der Geschichte zu stellen.

Die Herausforderung del Opus Dei bestand darin – so wenigstens habe ich es drinnen aufgefasst – zu erreichen, dass die Heiligkeit ohne Gelübde und ohne die Vermittlung einer Institution möglich sei, die Druck ausübt. Die Herausforderung war die Suche nach der Heiligkeit in einem freien Milieu, ohne die Hilfe eines institutionellen Drucks oder Zwangs welcher Form auch immer.

Zunächst erschien das unmöglich, aber das Opus Dei ließ es Wirklichkeit werden. Man kann von daher leicht schlussfolgern, dass die Existenz einer Berufung zum Opus Dei, die aus dem Inneren der Seele kommt, notwendigerweise durch die äußere Gewalt einer Institution, ähnlich einem Konvent, ersetzt werden musste. Aber die Heiligkeit inmitten der Welt schien möglich, und vielen gab diese Aussicht den Mut  sich hinzugeben.

Warum hat Escrivá so gehandelt?

Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund eine mögliche Erklärung, die jedoch in keiner Weise eine Rechtfertigung darstellt. Möglicherweise war der Gedanke, der Escrivá vorschwebte, nicht so sehr, dass die Mitglieder del Opus Dei dazu berufen seien, heilig zu sein wie die Ordensleute, ohne Ordensleute zu sein“, sondern das Charisma, das er schaffen wollte, sich etwa so definieren ließe: „Das Leben, das bisher die Ordensleute geführt haben, soll nicht länger exklusiv den Ordensleuten vorbehalten sein, sondern jedem offenstehen, das sich effektiv dem Dienst an Gott widmen will“, ohne dass er ins Kloster gehen müsste. Er wollte dieses Ziel in die Reichweite aller Christen bringen, die das Leben der Ordensleute führen wollten, ohne Ordensleute mit feierlichen Gelübden zu sein.

Wenn Escrivá das offen gesagt hätte, wäre es möglicherweise besser gewesen. Warum hat er es nicht getan? [Kommentar des Übersetzers: Wenn sich Escrivá nicht mit Vehemenz gegen die Spiritualität der Orden abgegrenzt hätte, die er doch bis ins Detail übernommen hatte, hätte nicht die Ellbogenfreiheit besessen, als Gründer einer originellen Stiftung zwischen Gold und Marmor, Luxushotels und –autos zu leben und sich Langusten servieren zu lassen; und er hätte sich den eingespielten Formen des Ordenslebens fügen müssen; der Begrenzung der Funktionszeit des „Oberen“ auf maximal neun Jahre etwa.]

Es ist nicht klar, inwieweit er damit Erfolg hatte. Es wäre wohl besser gewesen, wenn er niemanden betrogen hätte, aber das Projekt, das er gestartet hat, widerspricht sich selbst: Ordensleute zu sein, ohne Ordensleute zu sein. Ein solches Projekt hätte leicht im Chaos enden können, oder in einem streng geregelten Konventsleben.

Schließlich handelte Escrivá nach der Formel: „heilig wie die Ordensleute, ohne Ordensleute zu sein, aber wie die Ordensleute leben, ohne es zu wissen“. Ich denke, dass der Problem der Leugnung des Ordenslebens in einem größeren Kontext zu sehen wäre; denn die Frage nach der Säkularität ist nicht das einzige Thema, mit dem Escrivá die Mitglieder des Opus Dei und den Rest der Kirche betrogen hat.

Das Problematische an Escrivá ist, dass er gewohnheitsmäßig zum Betrug seine Zuflucht nahm, und so wird das Problem der Säkularität durchaus zweitrangig. Deshalb ist es auch nicht vorrangig den Grund herauszufinden, warum Escrivá die Seelen mit der Frage der Berufung betrogen hat. Die Ablehnung der Ordensleute hat einen Sinn in einem viel weiteren betrügerischen Kontext. Warum Escrivá das getan hat? Man muss einmal betrachten, dass er auf diese Weise seinen Narzissmus  bedienen, ein ganz persönliches Projekt durchziehen konnte, dass er seine eigene Institution schaffen und seine eigene Ehre suchen konnte. Natürlich gab es auch andere Gründe, aber im Vordergrund stand der Eigennutz.

Wie gesagt, die Zuflucht zum Betrug ist bei ihm auch sonst üblich. Das geschieht auf ganz verschiedenen Gebieten; die Liste ließe sich beliebig verlängern:

Die ultima ratio, die als Rechtfertigung jedes Betrugs angegeben wurde, war, dass es „für einen guten Zweck“ geschehe. Was diesen Zweck betrifft, hat Escrivá beispielsweise geagt: „Ich weiß es, und die anderen sollen mit vertrauen“. Das war die aberwitzige These Escrivás, und sie wurde von vielen akzeptiert, ohne dass sie wahrgenommen hätten, wie schlimm das war, denn Escrivá war ein meister der Perfidie.

Die Zuflucht zum Betrug wird angewendet, wenn man verborgene Absichten nicht preisgeben will. Wenn das Opus Dei transparent wäre, würde es heute nicht mehr existieren. Die Schlussbilanz ist einfach zu erstellen: Wie viel Schaden haben sie (anderen) zugefügt, welchen Nutzen haben sie für sich selbst herausgeschlagen. Wenn die Zahl auf beiden Seiten hoch ist, ist es schwer, die Unschuldsvermutung aufrecht zu erhalten.

Schlussfolgerungen

„Niemand auf der Welt kann uns dazu zwingen, Ordensleute zu sein”, sagte Escrivá, und er verstärkte damit die Furcht der Mitglieder des Opus Dei, mit der Welt der Orden in Berührung zu kommen. Nun, der Papst konnte so etwas, mit der Gründung des hl. Franz von Sales, einige Jahrhunderte vorher.

Das Putzige dabei ist aber, dass Escrivá selbst sehr wohl „seine Kinder“ verpflichtet hat, dass sie die Lebensweise von Ordensangehörigen annehmen, ohne zu mucksen, aber auch ohne es zu ahnen. Der betrügt wirksamer, der glaubwürdiger abstreitet. Deshalb halte ich Escrivá für einen Meister des Betrugs, denn er konnte alles abstreiten und zahllose Menschen jeder Art und Stellung betrügen.

Warum das Opus Dei bisher noch nicht vom Heiligen Stuhl öffentlich zurechtgewiesen wurde, etwa durch eine apostolische Visitation? Weil es hervorragend gelernt hat, Dinge abzustreiten. Es ist seinen Verpflichtungen aus dem Weg gegangen, und es hat sein Wesen verheimlicht, um sich ein makelloses Image zu verpassen. Diese Fähigkeit hat es ihm erlaubt, Schaden zu stiften und es zur gleichen Zeit abzustreiten, als wäre nichts geschehen. Das ist typisch für eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung (APS).

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu betrachten, wie das Opus Dei die „Selbstverleugnung“ fördert – die eine asketische Tugend sein kann, die der Nachfolge Christi dient, aber sie kann auch ein anderes Ziel verfolgen: Menschen, die sich aufgeben, um so wie Escrivá zu werden, übernehmen auch seine Gabe, die Wirklichkeit zu verdrängen. So können sie wie Ordensleute leben, ohne sich dessen bewusst zu werden, sie schaden anderen, ohne sich dessen bewusst zu werden, sie manipulieren Gewissen, ohne sich dessen bewusst zu werden, etc. Aus dieser Perspektive gesehen ist das Opus Dei etwas Gefährliches, etwas Abscheuliches.

Die Phobie gegenüber den Ordensleuten ist nur die Spitze eines Eisbergs: Dahinter stecken die Pathologie Escrivás und sein ganzes Opus Dei.

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Vor kurzem, als ich für diese Arbeit recherchierte, las ich eine seiner berühmten Phrasen; berühmt, weil er sich damit selbst in den Himmel hebt, und wenn der Anlass nicht so dramatisch wäre, würde sie ein Gelächter auslösen: „Gott führt mich leise an der Hand, Schritt für Schritt, um seine Burg zu bauen. Er scheint zu sagen: Komm her, setz diesen Stein hierhin, jenen dorthin […] Ich habe nichts ausgeklügelt, so wie man beim Schachspiel die nächsten Züge plant, um schließlich Schachmatt geben zu können. Was ich machen musste, war mich führen zu lassen” (Med. VI, S. 296). Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie er abstritt, dass das Opus Dei das Produkt einer sorgfältigen Planung und exzessiver Kontrollen der Mitglieder ist. Es ist überdeutlich zu sehen wie die Direktoren mit den Mitgliedern des Opus Dei Schach spielen (natürlich ohne dass diese es merken), und dass Escrivá selbst sie es gelehrt hat.

Ein anderes Mal zeigte sich seine Fähigkeit zu leugnen auf positive Weise, als er davon fantasierte, mit welchem Horizont die zölibatären Mitglieder rechnen können: „So werdet ihr die Freude fühlen, wirksam im Dienst der Kirche Gottes und aller Seelen zu arbeiten, wenn ihr diese herrliche Arbeit verwirklicht, die gute Lehre weiterzugeben, mit dem Beispiel und mit dem Wort, mit eurer beruflichen Arbeit inmitten der Welt; in Milieus, die Priestern und Ordensleuten unzugänglich und verwehrt sind und die deshalb, zum großen Schmerz des Kirche, häufig genug sich selbst überlassen sind oder zu wenig Aufmerksamkeit bekommen ” (Med. VI, S. 133). Dieses Panorama hat sich nicht, oder nur in Ausnahmefällen, verwirklicht, und die Chancen dafür haben immer mehr abgenommen; immer weniger arbeiten „in der Welt“, weil sie sich internen Arbeiten oder den Privatschulen der Vereinigung widmen.

So wird im Lauf der Zeit geschehen, wovor der jetzige Prälat Angst hat: Das Opus Dei wird wieder der Heiligen Kongregation für die Institute des Geweihten Lebens unterstellt werden, wie Gervasio vor einigen Tagen gemeint hat. Aber in diesem Fall muss auch klar sein, dass es nicht der Papst war, der jemanden gezwungen hätte, Ordensangehöriger oder geweihte Person zu werden. Es war Escrivá, und zwar von Anfang an.

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