Guilleaume: Kommentar zum Reglamento des Opus Dei als Pia Unio (6)
(9. März 2012)
IV. GEWOHNHEITEN
Das bemerkenswerteste in diesem Abschnitt ist meiner Ansicht nach die verschwenderische Anhäufung von Praktiken und Andachten, die zerstreuen und unter einem dicken Firnis jedes Interesse an echter Spiritualität ersticken. In diesem Gestrüpp von Übungen geht die Essenz des christlichen Lebens verloren; die Nächstenliebe, das ist die Einheit mit Gott und mit den Menschen.
Daneben ist eine bemerkenswerte Abwesenheit spiritueller Orientierung zu beklagen, die die Arbeit des Geistes in der Seele erleichtern würde, sich mit Christus in der Nächstenliebe und im kontemplativen Geist zu verbinden. Der Voluntarismus triumphiert; es geht jedenfalls nicht darum, sich dem Geschenk der Gnade gegenüber zu öffnen und ihren Hinweisen zu entsprechen.
[Nr. 24]
1. Wenn drei oder mehr Mitglieder in einer Familie zusammenleben, werden sie an einem geeigneten und würdigen Ort ein schwarzes Holzkreuz ohne Corpus anbringen. Es ist dafür Sorge zu tragen, von den zuständigen Hochwürdigsten Ordinarien die Gewährung der Ablässe einzuholen für jedes Mal, wenn das Kreuz geküsst und ein Stoßgebet vor ihm verrichtet wird.
Escrivá versucht durchaus diese Realität eines konventualen Lebens der Supernumerarier- und Numerarier-Mitglieder zu verschleiern (heute: Numerarier und Eingeschriebene Mitglieder), indem er es "Familienleben" nennt; aber in einer normalen Familie gibt es kein „Beisammensein“, da kommuniziert man frei und spontan miteinander, während die „Tertulia“ der „Rekreation“ der Klöster entspricht.
2. An den Festtagen Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung wird ab dem Vorabend das Holzkreuz mit Blumen geschmückt.
3. Am Abend, nach dem Rosenkranz vor der Gewissenserforschung, wird der „Evangelienkommentar“ vorgetragen.
Diese Art von Anhäufung frommer Übungen, und das zu einer Uhrzeit, in der ein normaler Berufstätiger bereits völlig erschöpft ist, zeigt die voluntaristische Auffassung Escrivás von Religion: Für ihn bedeutet das Fortschreiten im Christlichen die Anhäufung menschlicher Mittel bis zur Erschöpfung, nicht die Öffnung gegenüber den Gaben Gottes.
4. Die Mitglieder haben an einem gut sichtbaren und repräsentativen Ort ihres Zimmers ein Bild Unserer Lieben Frau, das sie grüßen, und sei es nur mit einem Blick, wenn sie das Zimmer betreten und wenn sie es verlassen.
5. Alle gemeinsamen Handlungen enden mit folgender Anrufung der Heiligsten Jungfrau: SANCTA MARIA SPES NOSTRA, SEDES SAPIENTIAE, ORA PRO NOBIS. [Heilige Maria, unsere Hoffnung, Sitz der Weisheit, bitte für uns]; und bei den Frauen: SANCTA MARIA SPES NOSTRA, ANCILLA DOMINI, ORA PRO NOBIS [Heilige Maria, unsere Hoffnung, Magd des Herrn, bitte für uns].
6. Wallfahrt im Mai: Als Ausdruck der Liebe zu Unserer Lieben Frau werden die Mitglieder jedes Jahr eine Wallfahrt im Mai zu einem Heiligtum der Gottesmutter unternehmen.
7. In den Zentren, in denen die Unseren ihre apostolische Arbeit entfalten, werden sie alle Samstage eine Kollekte durchführen, um Blumen zu kaufen, für das Bild Unserer Lieben Frau an den Tagen zu schmücken, an denen ein Fest der Herrin gefeiert wird.
8. Die Mitglieder tragen das Heilige Skapulier vom Berge Karmel.
[Nr. 25]
9. Alle Tage beten sie vor dem Niederlegen drei Avemarias für die Reinheit, wo es möglich ist, kniend und mit ausgebreiteten Armen.
Ich würde gerne wissen, warum die Brüder im Spanischen „Reinheit“ mit Großbuchstaben schreiben, „Armut“ aber mit kleinen (vgl. 23, 25).
10. Oratio-saxum: Täglich beten sie das „Memorare“, indem sie der Allerseligsten Jungfrau dasjenige Mitglied im Werk empfehlen, das es in diesem Augenblick am nötigsten hat. Wenn sie bei Eintritt der Nacht sehen, dass sie vergessen haben, die Oratio-saxum zu beten, dürfen sie es an diesem Tag nicht mehr beten.
Merkwürdige Anordnung: Man betet ein kurzes Gebet für den, der es am notwendigsten braucht, nicht, weil es schon Nacht ist? Es scheint, dass es ihm wichtiger ist, dass das nachlässige Mitglied wegen seiner Unterlassung korrigiert wird, als dass man jemandem hilft, dem es schlecht geht. Noch merkwürdiger wird das allerdings, wenn sich ansieht, was in Art. 19 über das tägliche Gebet für den Vater steht; dort gilt nämlich das entgegengesetzte Kriterium: Wenn es um ihn geht, muss man das Gebet auf jeden Fall verrichten; wenn es um die bedürftigsten Mitglieder geht, kann man bis zum nächsten Tag warten. Das sieht genau wie der Pharisäismus aus, den Jesus Christus kritisiert hat, denn sie setzen ihre menschlichen Normen über die Nächstenliebe.
11. Am Festtag des heiligen Joseph, unseres Vaters und Herrn, werden die Numerarier- und Supernumerarier- Mitglieder ihre Weihe an das Werk erneuern.
Wir haben einmal mehr die Terminologie des Geweihten Lebens; man spricht aber davon, sich dem Werk zu weihen, nicht Gott.
12. Alle Schlüssel der Tabernakels des Werk tragen an einer Kette eine Medaille des hl. Joseph.
13. Beim Betreten oder Verlassen jedes Zentrums, in denen die Mitglieder ihre apostolischen Tätigkeiten ausüben, wird laut oder im Stillen ein Stoßgebet an den Schutzengel dieses Hauses gesprochen.
14. Zu Beginn jeder Arbeit, die mit einem der Apostolate im Werk zu tun hat, werden die betreffenden Heiligen Fürsprecher angerufen.
15. Abgesehen von den Herrenfesten und den Feiertagen Marias und Josephs werden mit besonderer Andacht die Feste der Erzengel, der Apostel und Evangelisten begangen; der 2. Oktober, das Fest der hl. Schutzengel, und der 14. Februar, welche im Opus Dei Tage der Danksagung sind.
Dass „mit besonderer Andacht“ gefeiert werden soll, hat sich mittlerweile darauf reduziert, dass es in den Zentren ein Festmahl und einen Film gibt. Um das ein bisschen zu kompensieren, wird dann auch noch der Segen mit dem Allerheiligsten erteilt.
16. Alle Dienstage rufen die Mitglieder ihren Schutzengel an, damit er sie in ihrem Gebet begleite, und sie küssen ihren Rosenkranz als Zeichen der Liebe zu Unserer Lieben Frau und um zu zeigen, dass das Gebet die wirksamste Waffe ist. Anschließend wird der Psalm 2 auf Lateinisch gebetet. Am Nachmittag wird dieser Text für das Gebet herangezogen.
Diese Gewohnheit scheint mit seinem besonderen Konzept vom „Himmelreich“ zusammenzuhängen, das er als etwas Politisches und Zeitliches auffasst, und seinem Werk gibt er hier, wie den alten Tempelrittern, eine Rolle zwischen militärisches Truppe und religiösem Orden.
Dieses dichte Geflecht an Anordnungen für Frömmigkeitsübungen lässt am Ende kaum noch Raum, Gott zuzuhören. Alles ist vorprogrammiert, es gibt kaum noch Raum für Kontemplation oder persönliche Initiative; wenn sie dich am Morgen mit dem Buch Meditaciones bearbeiten und du für das Gebet am Nachmittag am Dienstag den Psalm II betrachten musst, am Donnerstag Adoro te devote, jeden dritten Sonntag das Glaubensbekenntnis Quicumque, und dazu noch die Vorwörter aus Crónica, die sie dir in der letzten Aussprache vorgeschrieben haben, bist du so mit dem beschäftigt, was sie wollen, dass es dich daran hindert an etwas anderes zu denken.
[Nr. 26]
17. Bei dem verschiedenen apostolischen Unternehmungen der Mitglieder wird, gewöhnlich bei Direktor oder Sekretär, ein Bild des Hl. Nikolaus von Bari mit folgender Inschrift aufgestellt: HEILIGER NICOLAE, CURAM DOMUS AGE [Heiliger Nikolaus, trage Sorge für das Haus].
18. Abgesehen von den Bitten für den Heiligen Vater und den Hochwürdigsten Ortsbischof, die sie in den Preces des Werkes verrichten, empfehlen alle Mitglieder täglich dem Herrn die Person und die Anliegen des Heiligen Vater und des Hochwürdigsten Diözesanbischofs.
19. Alle Tage opfern sie ihr Gebet und ihre besondere Abtötung für den Vater auf. Wenn sie bei der Gewissenserforschung am Abend draufkommen, dass sie dies zu tun unterlassen haben, werden sie vor dem Schlafengehen ein kurzes Gebet für seine Person und seine Anliegen sprechen.
20. Der Vater betet täglich vor dem Schlafengehen ausgestreckt auf dem Boden den Psalm Miserere. Für den Fall, dass er dies Gebet nicht sprechen kann, wird er dafür Sorge tragen, dass es ein anderes der Mitglieder an seiner Stelle verrichtet.
21. Um ihr Leben durch die beständige Gegenwart Gottes übernatürlich auszurichten, grüßen sich die Mitglieder untereinander mit dem Wort PAX, auf welches mit IN AETERNUM geantwortet wird.
Diese Gewohnheit fördert den Korpsgeist, es handelt sich um einen Gruß, der in einigen Klöstern sehr üblich ist, eine weitere Gewohnheit wie so viele andere, die Escrivá in das Leben des Zentren seines Werkes übernommen hat: die Tischlesung bei den Einkehrtagen, die Verteilung der Aufträge, die (geplante) Verwendung von Capas bei Zeremonien in der Kapelle, das Weihwasser vor dem Schlafengehen etc. Andererseits zeigt sich hier die voluntaristische und semipelagianische Haltung Escrivá, der es schon für eine Äußereung christlichen Lebens hält, wenn man diesen Gruß benutzt. Als ob sich der übernatürliche Charakter unserer Existenz und unserer Handlungen in Stoßgebeten zeigte, wie wenn man eine Münze in den Automaten wirft und das Erfrischungsgetränk kommt heraus, statt dass man die göttlichen Geschenke verinnerlicht!
22. Sie werden Weihwasser in ihrem Schlafzimmer haben und vor dem Schlafengehen damit ihr Bett beträufeln sowie das Kreuzzeichen machen.
23. Als äußeres Zeichen für ihren Wunsch, die Tugend der Armut zu leben, werden die Numerarier- und Supernumerariermitglieder jedes Jahr an dem Tag, an dem die heilige Kirche das Fest des Hl. Franz von Assisi feiert, dem Direktor oder der Direktorin des Zentrums alle Gegenstände aushändigen, die sie zur Verfügung haben und die nicht dem ausschließlichen persönlichen Gebrauch dienen. Diese Gewohnheit heißt „Expolio".
Nicht die Mitglieder geben diese Dinge her, sondern das „Expolio“ besteht darin, dass der Leiter in das Zimmer des Betreffenden geht und beansprucht, was ihm geeignet erscheint. Der Mangel an Säkularität bei dieser Gewohnheit war so augenfällig, dass sie sich im Lauf der Zeit darauf reduziert, eine Betrachtung über die Armut zu halten, während jedes Mitglied dem Leiter ausliefert, wovon er sich trennen will.
24. Den Unseren ist es nicht gestattet, einander Geschenke zu machen, wie [Nr. 27] unbedeutend sie auch sein mögen.
Der Vater aber konnte und kann. Aber Escrivá wollte nicht, dass es in seinem Werk irgendeinen Partikularismus unter den Mitgliedern gibt. Jedes Zeichen von Freundschaft, wie gering es auch immer sei, muss radikal ausgemerzt werden. Nur so, in völliger Isolation, erreicht man es, dass die Mitglieder ihren Leitern erschöpfend Auskunft geben, denn Kommunikation ist etwas zutiefst Menschliches.
25. Um die Tugend der Armut zu erreichen und zu bewahren, werden die Numerarier- und Supernumerarier-Mitglieder dem Direktor des betreffenden Zentrums jeden Monat die Abrechnung ihrer jeweiligen Ausgaben übergeben.
Es geht nicht um die Tugend der Armut (im Spanischen „pobreza“, also schon wieder klein geschrieben), sondern um Kontrolle.
26. Es ist eine löbliche Gewohnheit, die Briefe, die die Mitglieder untereinander tauschen, aufzubewahren, um sie, wenn sie geeignet sind, zu archivieren.
Unter diesem Vorwand versucht man sogar einen möglichen, wenn auch verpönten Meinungsaustausche unter den Mitgliedern in den Griff zu bekommen. Wie erbärmlich! Wie heißt es Pkt. 50 des „Weges“: Du fragst herum und horchst aus, du bist ein Schnüffler und Schleicher. Schämst du dich nicht, bis in deine Fehler hinein so wenig Mann zu sein? - Sei männlich und vertausche deine Sucht, alles über die anderen zu erfahren, mit dem Wunsch und der Wirklichkeit wahrer Selbsterkenntnis.“ – Heutzutage, mit Mail und SMS, wird das noch unkontrollierbarer.
27. Das geistige Band, das die Mitglieder des Werkes eint, zeigt sich nicht nach außen im gesellschaftlichen Leben.
Ein anderer Ausdruck seiner Sorge, dass das Wesen des Werkes nicht nach außen dringt, hier das Band unter den Mitgliedern. Die Geheimniskrämerei war immer eine Konstante in der Praxis des Gründers (vgl. den Artikel von Doserra, Lügen Msgr. Escrivás: 1. Über das Geheimnis (7. 3. 2012).
Es gibt auch Ausnahmen, wenn sich etwa Numerarier und Numerarierinnen aus gesellschaftlicher Ebene begegnen, dann geben sie sich kein Begrüßungsküsschen, sondern nur die Hand.
Auf der Uni gibt es beispielsweise eine merkwürdige „Freundschaft“ zwischen Numerarier und Numerarierin; sie unterstützen einander bei Studium, sogar bei Prüfungen, aber reden kaum miteinander.
28. Die Mitglieder werden dafür sorgen, jeden Monat voller Aufrichtigkeit eine vertrauliches Gespräch mit dem örtlichen Direktor oder der Direktorin zu führen, um ihr Verhalten mit dem Geist des Werkes zu identifizieren und ihre apostolischen Aktivitäten zu verbessern.
Da haben wir wieder einmal eine mustergültige Manipulation; das ,was immer eine Pflicht war (keine „Empfehlung“; man hatte nicht dafür zu sorgen, sondern zu gehorchen), und zwar eine wöchentliche; hier sieht man deutlich die Vermischung von Forum internum und externum, das, was immer schon im Opus Dei so gemacht wurde, auch wenn es auf verlogene Weise im Brief des Prälaten vom 2. 10. 2011 abgestritten wird.